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Dieses seelische Abgestimmtsein, oder anders ausgedrückt, diese
Harmonie der Seelenschwingungen nennen wir Sympathie.
Nicht immer tritt jedoch diese Wahrnehmung so deutlich in
die Erscheinung. In den weitaus meisten Fällen lernen wir die Menschen
nur flüchtig kennen. Aber auch dann, wenn wir ihnen nur einige
Augenblicke von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen, bemächtigt
sich unser dieses Gefühl. Einen sympatischen Eindruck gewinnen
wir z. B. regelmäßig, wrenn wir in die Wohnung einer in Harmonie
lebenden Familie treten.
Ebenso gut, wie wrir uns nun zu einem Menschen hingezogen
fühlen, kann auch der entgegengesetzte Fall eintreten, daß wir abgestoßen
werden. Die beiderseitigen Auraausstrahlungen erzeugen
dann beim Zusammentreffen eine Disharmonie. Wir sagen, der Mensch
ist unsympathisch und meiden nach Möglichkeit das Zusammensein
mit ihm.
Wir sprechen auch vom sympathischen oder unsympathischen
Äußern und verstehen darunter sowohl die Gesichtszüge als auch das
Gebaren eines Menschen, und da wir nun das menschliche Antlitz
als den Spiegel der Seele betrachten, so zeitigt in der Regel schon
die Betrachtung des äußeren Menschen ein treffendes Urteil.
Zum Schlüsse gestatte ich mir ein hübsches Gedichtchen von
Bodenstedt anzuführen:
In jedes Menschen Gesichte steht seine Geschichte,
Sein Hassen und Lieben deutlich geschrieben.
Sein innerstes Wesen, es tritt hier ans Licht,
Doch nicht jeder kann's lesen, versteh'n jeder nicht.
Diese letzte Zeile sollte uns eine Mahnung sein. Wir sollen
nicht voreilig vom Äußern auf das Innere eines Menschen schließen,
und werden gewiß schon häufig die Entdeckung gemacht haben, daß
hinter einer harten Schale ein weicher Kern sich verborgen hält.
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