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TAFEL I. a.b.
Die vorliegende Abbildung wurde von dem Leichnam eines kräftigen
, normal gebauten Soldaten abgenommen, der sich im Alter von 21
Jahren erhängt hatte. Die Organe zeigten keine pathologischen Veränderungen
. Der Leichnam, welcher ungefroren ankam, wurde auf ein
horizontal liegendes Brett gelegt, ohne irgend- eine besondere Unterlage
für den Kopf; es ward nur bei der Lagerung dafür gesorgt,
dass die Glieder möglichst gleichmässig zur Mittellinie lagen. In
dieser Lage blieb der Leichnam unberührt bei einer Kälte von circa
8° R. 14 Tage lang im Freien liegen. Nach Ablauf dieser Zeit
war er vollständig durchgefroren. Mit einer geschwärzten Schnure wurde
hierauf die Mittellinie an der Vorder- und Rückseite des hohlgelegten
Cadavers markirt und danach mit einer feinen Blattsäge die Durchsägung
vorgenommen in der Art, wie zwei Zimmerleute einen Baumstamm
aus freier Hand zu durchsägen pflegen. Es Hess sich so von
oben wie von unten der Lauf der Säge genau controliren. Nach Reinigung
der rechten Körperhälfte zeigte sich der Schnitt sehr glücklich
geführt. Im Gehirn war der ventriculus septi pellucidi getroffen; in der
Brusthöhle das Mediastinum, so dass keiner von beiden Pleurasäcken
eröffnet war, und im Becken das obere Drittel der Harnröhre. Es
wurde nun die Zeichnung auf dem gefrornen Präparate durchgepaust
und allmählig nach dem inzwischen aufgeweichten Körper vervollständigt.
Da es wohl nie gelingen wird, den Schnitt so zu führen, dass die
mittlere Ebene genau an allen Punkten eingehalten wird, so verbesserte
ich das Präparat nachträglich an einzelnen Stellen, soweit dies die Natur
der Sache zuliess. So wurde mit dem Rasirmesser vom kleinen Gehirne
eine ganz dünne Platte abgetragen und dadurch der Zugang des schon
freigelegten aquaeductus Sylvii zu dem vierten Ventrikel deutlich gemacht
; ebenso wurde die Harnröhre im hängenden Theile des penis, wo
sie noch nicht eröffnet worden war, der Länge nach aufgeschnitten;
ebenso die Afteröffnung. Der Schnitt war hart neben dem zusammengezogenen
anus vorbeigegangen. Nach dem Aufthauen wurde derselbe
aufgeschnitten. Daher kommt es, dass die Oeffnung so gross erscheint.
Bei Schnitten, welche die Aftermündung im gefrornen Zustande der
Leiche treffen, liegt die vordere Wand der hinteren weit näher; jedoch
nie so nahe, dass ein völliges Berühren derselben und dadurch ein Verschluss
des Afters stattfände.
Es ist ferner zu bemerken, dass Einzelheiten in der angelegten
Zeichnung nach frischen Präparaten ausgeführt wurden, da es sonst
nicht möglich gewesen wäre, die Abbildung in der wünschenswerthen
Vollkommenheit herzustellen.
Was den Durchschnitt durch die Skelett heile betrifft, so ist als
das Wichtigste die Wirbelsäule ins Auge zu fassen. Dieselbe ist an
den Wirbelkörpern fast durchgängig genau in der Mittellinie getroffen
worden; von den Bögen dagegen wurden die des Rückentheils, wie
aus der Zeichnung ersichtlich ist, etwas nach rechts von der Mittellinie
zerschnitten.
Bei der Betrachtung der einzelnen Theile zeigte es sich, dass man
es mit einer vollkommen normalen Wirbelsäule zu thun hatte. Es fanden
sich nirgends Deformitäten an den Wirbelkörpern, wie sie so häufig
namentlich bei älteren Individuen vorkommen, wohl aber eine grosse
Beweglichkeit an den betreffenden Stellen, welche junge und gymnastisch
ausgebildete Leute charakterisirt. Auch an dem Kreuzbeine war nichts
Abnormes zu entdecken, an welchem sich besonders oft auf Durchschnitten
Veränderungen der ursprünglichen Form zeigen, die wahrscheinlich
mit Anomalien der Beckeneingeweide -in ursächlichem Zusammenhange
stehen. Dass das Steissbein nur 2 Stücke auf der Abbildung
zeigt, wird bei den Variationen, die dieser Skelettheil überhaupt
eingeht, nicht auffallen.
Bei der Betrachtung der Wirbelsäule im Allgemeinen ist es zunächst
auffallend, dass die Krümmung derselben eine so bedeutende ist. Gerade
bei horizontaler Lagerung ist man geneigt ihr eine flachere Krümmung
zuzuschreiben, da die Wirbelsäule, wie man sie nach der Ablösung
des Brustkorbes und Herausnahme der Eingeweide auf den Prä-
parirtischen liegen sieht, viel flachere Bogen in den einzelnen Abtheilungen
zeigt.
Es hat aber schon Parow (Virchoios Archiv, Bd. 31, pag. 105 u. f.)
nachgewiesen, dass die Entfernung der Eingeweide und des Brustkorbes
einen grossen Einfluss auf die Verflachung der Wirbelsäule ausübt-
Man braucht nur das Schema, welches nach Messungen an einer isolir-
ten Wirbelsäule von ihm bestimmt ward und a. a. 0. laf. V. Fig. 4
abgebildet ist, mit der von E. Weber (Mechanik der menschlichen
Gehwerkzeuge) gegebenen Abbildung und der meinigen zu vergleichen,
um den grossen Unterschied sogleich zu erkennen.
Vergleicht man die vorliegende Abbildung mit denen, welche Piro-
goff (Anatome topographica, 1859, fasc. I. A. Tab. 10. 11.) nach Leichen
anfertigte, die ebenfalls unverletzt in horizontaler Lage zum Gefrieren
gebracht und dann erst durchsägt wurden, so findet man eine
nahezu gleiche Krümmung. Beide unterscheiden sich aber gemeinsam
dadurch von der Weber'schen, dass sie nicht eine so beträchtliche
Concavität des Rückentheiles zeigen. Da Parow bei seinen
Untersuchungen fand, dass der Inhalt der Bauchhöhle wenn auch nicht
in so hohem Grade als der thorax die Stellung der Wirbel beeinflusst,
so wird man den Grund dieser kleinen Differenz in der vorausgegangenen
Eventration bei dem Weber'schen Präparate zu suchen haben. Wenn
daher die Weber'sche Darstellung auch für die Feststellung der Form der
Wirbelsäule mit ihren Bändern und Bandscheiben an sich mustergiltig
ist, so ist sie nicht vollkommen bestimmend für die mit sämmtlichen
Weichtheilen in Zusammenhang stehende Wirbelsäule und danach
entsprechend etwas zu modificiren.
Es wäre nun wünschenswerth, an der vorliegenden Wirbelsäule bestimmen
zu können, welche Veränderung dieselbe in aufrechter Stellung
des Individuums eingehen würde. Leider muss aber von einer solchen
Bestimmung abgesehen werden. Wenn man auch eine Reihe von Abbildungen
geben würde, denen Leichen, die in aufrechter Stellung
gefroren sind, zu Grunde liegen, so würde doch der Gewinn kein grosser
sein. Man kann sich leicht davon überzeugen, dass es unausführbar
ist, eine Leiche so im Gleichgewicht balancirend zu erhalten, wie es die
Muskeln am lebenden Körper zu leisten vermögen. Der Rumpf hängt
jedesmal nach einer Seite so über, dass die Wirbelsäule ihre ^förmige
Krümmung zum Tlieil einbüsst und eine mehr einfache Curvenform annimmt
. Eine Stellung, die man auch am Lebenden bei Ermüdung der
Muskeln beobachten kann. Es ist deshalb auch nicht zu verwundern,
dass die Abbildung, welche Pirogoff a. a. 0. Tab. 12 gibt, als nach
einem in aufrechter Stellung gefrorenen Leichnam abgenommen, eine ähnliche
Form der Wirbelsäule zeigt und von der 8 förmigen Krümmung sich
noch mehr entfernt als die in horizontaler Lagerung abgenommenen. Man
würde somit einen grossen Fehler begehen, wenn man auf Grund der
Pirogoff'schen Abbildungen den Satz aufstellen wollte, dass bei dem
lebenden, aufrecht stehenden Menschen die Wirbelsäule weniger
Krümmung zeigt als bei dem liegenden.
Nun hat zwar Parow mit Hülfe eines Instrumentes (Coordinaten-
messer) zahlreiche Bestimmungen der Lage der Processus spinosi ausgeführt
und danach die Krümmung der Wirbelsäule am Lebenden berechnet
. So werthvoll aber auch diese Bestimmungen für den einzelnen
Fall sind, und so sicher daraus* hervorgeht, dass jede Veränderung der
Attitüde und der Belastung des Rumpfes Einfluss auf die Wirbelstellung
ausübt, so scheint mir doch bei der grossen Veränderlichkeit in der Form
der Dornfortsätze kein absolutes Mass für die Lage der Wirbelkörper damit
gegeben zu sein, umsomehr als gerade die Bestimmung des Promontorium
noch besondere Messungen nothwendig machte. Deshalb habe
ich auch davon abgesehen, durch Vergleichung der Parowscken Curven
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