Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., RA gr.2.2014/14-1
Braune, Wilhelm [Hrsg.]
Topographisch-anatomischer Atlas: nach Durchschnitten an gefrornen Cadavern (Text)
1872
Seite: 26a
(PDF, 16 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/topographisch1872-1/0055
TAFEL XX

Um die Verhältnisse der Beckenorgane zur Ansicht zu bringen,
wurde der letzte Querschnitt des Rumpfes hart oberhalb der Symphysis
ossium pubis angelegt und nach dem unteren Ende des Kreuzbeins durch
den Leichnam hindurchgeführt. Auf diesem Wege schnitt die Säge die
Inguinalgegend, die äussere Schenkelmuskulatur und die Schenkelköpfe
nahe ihrer Mitte ausserhalb desBeckens, innerhalb desselben Blase,
Mastdarm und die letzte im Douglas'schen Räume liegende Dünndarm-
schlinge. Die Sitzbeine wurden in der Hohe der spina ischii getroffen,
so dass der Schnitt dem ligamentum spinoso - sacrum ziemlich genau
folgte.

Das vorliegende Bild zeigt uns also zwei Parthien; in der Mitte, eingeschlossen
von den Beckenknochen und dem levator an?', den untersten
Abschnitt der AbdorainalhÖhle; seitlich davon die Gelenkapparate der
Oberschenkel mit den dazu gehörigen Muskelmassen und den grossen
Gefässen.

Betrachten wir zunächst das Mittelstiick, begrenzt durch Schaam-
beine, Sitzbeine, levator am, ligamentum spinoso- sacrum und letzten
Kreuzbeinwirbel. Die Harnblase, welche etwa 100 Gramme gefrorenen
Urin, daneben aber keine Spur Luft enthielt, zeigte sich fest um
ihren Inhalt zusammengezogen, so dass ihre Form nicht durch den Druck
der Nachbarorgane bedingt war, wie dies bei zahlreichen PirogofFschen
Abbildungen sich vorfindet, bei denen die obere Blasenwand vielfach
eingebogen und zusammengefallen erscheint. Das Cadaver war eben ganz
frisch von mir zum Gefrieren gebracht worden, nicht erst nachdem durch
die Fäulniss sich Gase gebildet hatten, welche die Formen der Höhlungen
veränderten. Die Eismasse wurde vorsichtig herausgelöst und die Wandungen
noch im erstarrten Zustande abgezeichnet. Man erkennt deutlich
das orificium urethrae internum inmitten eines Kranzes von Schleimhautfaltungen
. Weiter nach vorn liebt sich die vordere Blasenwand aus der
Tiefe heraus und bildet beim Ueberschreiten der Schaambeinsymphyse
eine flache Convexität nach innen. Dieser Buckel ist durch die lichte
Stelle in der Zeichnung wiedergegeben werden, auf welche gerade der
die Harnblase bezeichnende Strich hinführt. Die Dicke der Blasenwandungen
selbst war dem geringen Grade ihrer Anfüllung entsprechend
nicht unbedeutend. Die scheinbar kolossale Stärke der hinteren Wand
entspricht aber nicht dem wirklichen Querschnitt. Gerade an dieser
Stelle war die Wand sehr schräg getroffen worden. Um die Lage und
Form der Blase mit dem auf Tafel I. gegebenen Durchschnitte vergleichen
zu können, ward der Eisklumpen sorgfältig herausgenommen
und im Profil abgezeichnet. Es Hess sich dies um so leichter ausführen,
da mit der vorhero-ehenden Scheibe nur ein Stück der oberen Blasenwand
entfernt worden war mit einem sehr flachen Abschnitt des Inhaltes. Beim
Vergleichen dieser Zeichnung mit dem auf Tafel I befindlichen Sagittal-
schnitten, zeigte sich eine grosse Uebereinstimmung der Form. Nur
darin differirten beide, dass in Tafel I. der Stand des orificium urethrae
internum ein etwas höherer war als der hier vorliegende. Auf jeden Fall
aber ist eben damit die Form und Lage der Blase bei jugendlichen und
kräftigen Männern bestimmt, wie man sich auch durch Talgausgüsse
überzeugen kann mas1 man nun dieselben durch den Ureter oder durch
die Urethra ausführen. Sicher ist wenigstens die von Kohlrausch abgebildete
Kugelform nicht eine den normalen Verhältnissen entsprechende.
Von einem Blasenhalse, als von einer trichterförmigen Verjüngung
der Blase nach der Harnröhre zu, ist auch hier keine Rede.

Für eine weitere Ausdehnung der Blase ist, wie auch die Abbildung
lehrt, genügend Platz vorhanden. Das fettreiche Zellgewebe zu beiden
Seiten kann gut ausweichen, ebenso wie die Dünndarmschlingen mit dem
peritonaeum leicht von der anschwellenden Blase erhoben und verschoben
werden können. Es wird fernerhin der Mastdarm abgeplattet werden
und ausserdem durch Entleerung der grossen Venenplexus Platz geschafft,
bis schliesslich die Blase den Raum des Beckens fast allein ausfüllt.
Mit diesen Volumsveränderungen ändern sich auch die Verhältnisse des
Bauchfells zur Blase. Schon bei dem geringen Grade der Anfüllung,
wie er hier vorliegt, war nur die obere Wand und ein kleiner Theil der
Rückseite vom Bauchfelle überzogen, so dass bereits ein Zugang auch

oberhalb der Symphysis ossium pubis, wenn gleich ein schmaler, vorhanden
war. Es liegt auf der Hand, dass dieser Zugang unterhalb des Bauchfelles
mit der zunehmenden Füllung und Erhebung der Blase an Breite
gewinnen inuss. Weiter ist der Zugang an den vom peritonaeum freien
Stellen gegen das perinaeum hin. Man braucht sich nur die Spitze des
Messers im orificium urethrae heraufsteigend zu denken, um die Möglichkeit
grosser Blaseneinschnitte nach vorn, den Seiten und hinten hin verstehen
zu können.

Hinter der Blase liegt ein flacher Abschnitt des Bauchfellsackes
mit einigen durch den Schnitt halbirten Schlingen des ileum. Dahinter
die Douglas'sche Falte, und hinter dieser ein Blindsack des Bauchfells,
der sogenannte Douglas'sche Raum. Derselbe zog sich in schräger
Richtung nach vorn und unten, und besass eine Tiefe von 1 Vs Centimeter.
Er enthielt etwa 20 Gramme gefrorenen Wassers, eine so geringe Quantität
, dass schon hieraus der frische Zustand des Cadavers erkannt
werden konnte.

Die Saamenbläschen, welche unmittelbar am Schnittrande lagen,
wurden durch Wegnahme von etwas Zellgewebe noch völlig freigelegt.
Medianwärts von ihnen biegen unter scharfer Krümmung die vasa defe-
rentia nach vorn und oben zu ab, bis sie mit freier langer Schnittfläche
endigen. Man erkennt ihr feines Lumen und die Stärke ihrer Wandung.
An ihrem vorderen Ende etwas nach auswärts markiren sich die weiss
gehaltenen Querschnitte der Ureteren.

Der Mastdarm, der mit wenig Koth angefüllt war, ward kurz
vor seiner letzten Endkrümmung getroffen. An ihm liess sich genau nachmessen
, dass die Entfernung bis zur Afteröffnung reichlich 4 Zoll betrug.
Vergleicht man hiermit das Verhältniss des Bauchfelles, welches bereits
von der vorderen Fläche des Mastdarmes sich, gänzlich entfernt hat, und
unter Bildung des Douglas'schen Raumes noch l1/2 Centimeter herabstieg,
so ergiebt sich, dass dasselbe von der Afteröffnung reichlich 3 Zoll
entfernt war, dass man also in dieser Höhe am Mastdarm Operationen
hätte unternehmen können, ohne eine Verletzung des Bauchfellsackes
befürchten zu müssen. Es stimmt dieses Verhältniss mit dem auf Tafel I
völlig überein.

Für den Mastdarm tritt in ähnlicher Weise sowie für die Blase die
Frage auf, welche Veränderung des Bildes durch die verschiedenen
Volumsveränderungen zu Stande kommen würde. Und "zwar kann es sich
auch hier um Volumunterschiede bedeutender Grösse handeln, wie die Erfahrung
lehrt und auch dasExperiment der Talginjectionen am Cadaver
zeigt. Der Raum der hierbei erforderlich ist, wird in ähnlicher Weise
geschafft wie bei der Blase. Das Zellgewebe und das Fett werden verdrängt
, der Douglas'sche Raum mit den Därmen etwas gehoben und bei
sehr starker Anfüllung des Mastdarms auch die Blase etwas nach vorn
und oben gerückt. Beifolgende Abbildung aus Pirogoffs Atlas ist in
dieser Beziehung besonders instruetiv.1

Fig. 1. Querdurchschnitt durch das Becken eines 15jährigen Knaben. Pirogoff,

Fase. III. Tal. 16. Figur 1.

1. 1. Oberschenkelköpfe. 2. 2. grosse Trochanteren. 3. Steissbeinspitze. 4. Mastdarm, stark
durch Luft ausgedehnt. 5. Harnblase. 6. Oberer Rand der Schaambeinsymphyse. 7. 7. Saamenstränge.
8. 8. Grosse Schenkelgefässe. 9. 9. in. obtvrator. internus. 10. 10. m. glutaeus maximus.

Es ist wenig zur Erläuterung hinzuzufügen. Die grosse Aehnlichkcit
der einzelnen Formen mit meiner Abbildung wird das Verständniss wesent-
| lieh erleichtern. Ueber die Hälfte der Beckenhöhle wird von dem stark


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