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TAFEL XXI.
Es erschien mir wünschenswerth, der Reihe von Querschnitten noch
einen Frontaldurchschnitt des Beckens hinzuzufügen und zwar einen
solchen, der die Verhältnisse der Hüftgelenke möglichst gut zur Anschauung
brächte. Nach mehrfachen Versuchen überzeugte ich mich,
dass dazu eine bestimmte Haltung der Beine nothwendig sei, weil bei
der gewöhnlichen Stellung, in der sich die Cadaver bei der Rückenlage
befinden, die Beine so nach auswärts gerollt sind, dass die Haupttheile
beider Oberschenkel, nämlich Kopf, Hals und Schaft nicht in einer
gemeinsamen Ebene liegen. Ihre Durchschnittsebenen schneiden sich
in ihrer medialen Verlängerung vor dem Körper. Nur „wenn man die
Schenkel so weit nach einwärts rollt, dass die medialen Ränder beider
Füsse sich in ihrer ganzen Länge berühren, liegen beide Oberschenkelknochen
mit Schaft, Hals und Kopf in einer gemeinsamen Frontalebene.
Ich band daher die Füsse des frischen Cadavers eines muskelkräftigen
35jährigen Handarbeiters, der seinem Leben durch Erhängen
ein Ende gemacht hatte, vor dem Frieren fest an einander und führte
nach dem völligen Erstarren des Körpers den Frontaldurchschnitt aus,
welcher der vorliegenden Abbildung zu Grunde liegt.
Der Schnitt durch das Becken und die Hüftgelenke gelang in
befriedigender Weise; die Symmetrie beider Seiten ist nahezu eine vollkommene
zu nennen. Nur der Schaft des rechten Oberschenkelknochen
ist nicht in seiner gesammten Länge getroffen worden; der grosse
Trochanter nur zum Theile sichtbar, der Anfang der Diaphyse darunter
noch stellenweise von Weichtheilen bedeckt. Kopf und Hals der Oberschenkel
dagegen wurden ziemlich genau halbirt. Am Becken ging der
Schnitt durch die Mitte der Pfannen und verlief durch die Länge des
ligamentum teres auf beiden Seiten. Ausserdem ging er durch das/ora-
men obturatorium und die Darmbeine. Das Promontorium und die Sitzknorren
blieben unberührt in der hinteren Hälfte des Präparates liegen.
Man sieht somit von vorn nach hinten in die Beckenhöhle hinein und hat also
zur linken Hand die rechte Seite des Cadavers, zur rechten Hand die linke.
Die Abbildung zeigt das untere Ende der Abdominalhöhle, begrenzt
oben durch die Durchschnitte der drei platten Bauchmuskeln, weiter nach
abwärts durch den nach .innen zu ziemlich stark vorspringenden Wall
des iliopsoas, der lateralwärts von seiner centralen Sehne den nervus
cruralis in sich birgt.
Zwischen diesen muskulösen Wandungen liegen die Därme, und
reichen bis zur Harnblase herab, deren vorderes Ende so getroffen worden
ist, dass die Höhlung gerade noch eröffnet wurde. An den Darmdurchschnitten
, die oben mehr dem jejunum, unten mehr dem ileum angehören,
wie man leicht aus der Beschaffenheit der Schleimhaut erkennen kann,
ist ersichtlich, dass die Darmschlingen vielfach ihrer Länge nach getroffen
wurden. Man hat viel weniger einfache Querschnitte vor sich als
dies bei den vorhergehenden Abbildungen des Rumpfes der Fall war.
Es müssen somit die Darmschlingen eine mehr der Längsachse des.
Körpers parallele Richtung verfolgt haben.
Von den einzelnen Darmtheilen erkennt man am oberen Rande des
rechten psoas den quergeschnittenen processus vermiformis, an der medialen
Seite der linken vena iliaca den Querdnrchschnitt des Mastdarmes.
Letzterer wurde nach Vollendung der Zeichnung noch im erstarrten
Zustande in Beziehung auf seinen Verlauf besonders untersucht. Er
stie0, hinter dem Douglas'schen Räume in der linken Körperhälfte nahe
an der Mittellinie in die Höhe, bog dann am linken psoas scharf nach
vorn ab, so dass er in die Schnittebene fiel, und zog sich dann unter
Bilduno- eines oTOSsen nach vorn gerichteten Bogens etwas in die rechte
Körperhälfte hinüber um sich dann nach links und hinten an das colon
descendens anzuschliessen, welches mit seiner Schnittfläche oben an den
linken platten Bauchmuskeln zu erkennen ist. Er zeigte somit in seinem
unteren Theile eine Abweichung von dem gewöhnlichen Verlaufe, wie
er auch im Atlas von Pirogojf\fasc. III. B, Tab. XV, Fig. 1. abgebildet
ist; stimmt also auch nicht vollständig mit den Verhältnissen auf Tafel
I und II überein.
Man kann sich durch Talgausgüsse leicht davon überzeugen, dass
in einzelnen nicht gar zu seltenen Fällen die S förmige Krümmung des
rectum in frontaler Richtung am Kreuzbeine nicht scharf ausgeprägt
ist; Varietäten, die durch die verschiedene Länge des mesorectum
bedingt sind. Ist letzteres stark ausgebildet und weit hinabreichend, so
ist die Lage des rectum dadurch freier und von dem Zustand der Nachbarorgane
abhängiger. Kürze und Straffheit dieses mesenterium bedingen
eine festere und constantere Lage des Darmes.
Ebenso ist der Einfluss seiner Anfüllung und (Ter Festigkeit seiner
Wandungen hierbei im Auge zu behalten. Starke Kothanhäufungen
und grosse Schlaffheit seiner Wände vermögen die ursprünglichen
Krümmungen beträchtlich auszugleichen.
Es lässt sich durch Versuche nachweisen, wie es auch die klinischen
Beobachtungen am Krankenbette ergeben, dass man im Stande
ist mit voluminösen und langen Instrumenten die Krümmungen des Mastdarmes
so weit auszugleichen, um sogar bis in die flexura iliaca hinaufzuge-
langen. Man kann auch nur auf diese Weise fremde Körper die von
aussen hineingeschlüpft sind, und sich in den Krümmungen festgekeilt
haben, mit der Zange fassen und glücklich herausziehen.
Die Harnblase enthielt nur wenig Urin und war fest um ihren
Inhalt zusammengezogen. Sie liegt nur durch wenig Fett getrennt über
den Querschnitten des levator ani. An beiden Seiten des letzteren schliessen
sich die Durchschnitte des obturator internus an, der seine Begrenzung
nach abwärts durch die membrana obturatoria, seitlich durch die Beckeii-
knochen erhält. Verfolgt man den Raum zwischen Därmen und Becken
beiderseits von der Blase nach aufwärts, geht man also unter dem Bauchfelle
in die Höhe, so kommt man zunächst auf 2 ovale weissgehaltene
Querschnitte, welche die ligamenta lateralia vesicae darstellen. Sie liegen
von der Blase so weit entfernt, weil dieselbe klein und contrahirt war.
Eine angefüllte Blase würde sie an ihrer oberen Fläche tragen und zugleich
den ganzen Raum in der unteren Beckenapertur einnehmen, wie verschiedene
Abbildungen von Pirogojf zeigen.
Weiter nach aufwärts in dem gleichen Räume zwischen Bauchfell
und Becken liegt das quergeschnittene vas deferens und darüber die vena
obtitratoria, nervus obturatorius und eine kleine Arterie. Die Hauptarterie
zum foramen obturatorium ging von der a. epigastrica ab.
Endlich gelangt man auf dem begonnenen Wege zur vena und arteria
iliaca. Beide Gefässe liegen an der inneren Wand des psoas, wie es
auch die vorhergehenden Querschnitte des Rumpfes zeigen, aber nicht
neben einander sondern hinter einander, so dass hier auf dem Frontalabschnitte
die Arterie gerade über der Vene erscheinen musste.
Die Verhältnisse des Hüftgelenkes, die schon oben kurz angedeutet
wurden, erfordern noch mehrere Bemerkungen. Es ward schon
erwähnt, dass der Schnitt beiderseits das ligamentum teres der Länge nach
getroffen hatte. Es ist gut ersichtlich, dass dieses Band die übermässige
Adduktion bei gleichzeitiger Streckung beschränkt, und die feste Stellung
des Beckens und Rumpfes bei dieser Haltung mit sichern hilft. Da der
Schnitt zugleich durch die incisura acetabuli ging, so ist auch der Verlauf
der arteria acetabuli zum Theil frei gelegt. Namentlich lässt sich
auf der linken Seite des Beckens dieses Gefäss eine Strecke weit nach
aufwärts verfolgen.
Knorpelflächen, Bandapparat, Ausdehnung der Gelenkhöhle ergeben
sich schon aus der Zeichnung. Bemerkenswerth erscheint auch die
Architektur der den Rumpf tragenden Oberschenkelknochen, und zwar
ebenso in ihrer Gesammtanlage wie in ihrer feineren Textur. Es ist
das Verdienst Meyer's, auf die Anordnung der spongiösen Substanz
vornehmlich im Halse des Oberschenkels aufmerksam gemacht zu haben,
welche die Tragkraft dieser Knochen wesentlich erhöht. Es ordnen sich
die einzelnen Knochenplättchen und Knochenspangen zu Reihen die von
den Rändern der compakten Masse sich ablösen und sich im Mittelpunkte
des Kopfes kreuzen. Namentlich auf dem Durchschnitt des linken Ober-
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