Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., RA gr.2.2014/14-1
Braune, Wilhelm [Hrsg.]
Topographisch-anatomischer Atlas: nach Durchschnitten an gefrornen Cadavern (Text)
1872
Seite: 28b
(PDF, 16 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/topographisch1872-1/0060
TAFEL XXII.

Figur 1.

Um die Formen der Kniegelenkhöhle und die Ausbuchtungen der
Kapsel recht anschaulich zu machen, spritzte ich unter starkem Drucke
durch eine feine Hohlnadel Wasser in das Gelenk ein und Hess dann erst
die Extremität, der ich im Knie eine leichte Beugestellung gegeben hatte,
frieren. Sie gehörte zu einem normalen jugendlichen weiblichen Körper,
der seines frischen und normalen Zustandes wegen sich für die Durchschnitte
besser eignete als die übrigen gerade vorhandenen männlichen
Cadaver. Der Schnitt verlief ziemlich genau in der Mitte, und theilte die
Extremität somit in zwei nahezu gleiche Theile, von denen der rechte
zur Abbildung benutzt wurde, nachdem das gefrorene Wasser aus der Gelenkhöhle
herausgenommen worden war.

Die Gelenke, nicht nur das Hüft- und Schultergelenk, stehen sämmt-
lich unter dem Drucke der Atmosphäre, und können aus diesem Grunde
im normalen Zustande bei der geringen Masse der Synovia, die sie enthalten
, nicht die freien Hohlräume zeigen, wie man sie nach der Eröffnung
am weichen Präparate findet. Daher stellt sich auch auf dem Durchschnitt
eines normalen Gelenkes die Synovialhöhle als ein feiner Spalt dar, der nur,
wie beifolgende Durchschnittszeichnung eines normalen Kniegelenks ohne

vorhergegangene Injektion
zeigt, sich durch eine einfache
schwarze Linie wiedergeben
lässt.

Vergleicht man das hier
vorliegende Gelenk mit dem
injicirt'en, auf der Tafel abgebildeten
, so erkennt man sofort
die Bedeutung der schwarzen
Linien, welche die Gelenkspalte
andeuten. Man
sieht ferner die Lageverhältnisse
der patella bei normalem
und abnormem Gelenke.
Während bei dem normalen
Gelenke dieselbe den Oberschenkelknochen
mit einem
kleinen Theile ihrer Knorpelfläche
berührt, wie die Tangente
einen Kreisbogen, ist
die Berührung bei dem angefüllten
Kniegelenke vollständig
aufgehoben. Die patella
schwebt, getragen von der Flüssigkeit, wie ein Bret auf dem Wasser, und
muss deshalb bei der Untersuchung dem drückenden Finger so lange nachgeben
, bis sie den dahinterliegenden Oberschenkelknochen erreicht.

Die Geräumigkeit der Gelenkhöhle ist gut ersichtlich. Während auf
dem Holzschnitte der Schleimbeutel des Streckmuskels wie getrennt davon
erscheint, weil die breite Communicationsöffnung, die ihn mit der oberen
Ausbuchtung der Kapsel verbindet, nicht durch den Schnitt getroffen
wurde, ist bei dem injicirten Gelenke auf der Tafel nichts von einer solchen
Trennung zu sehen. Die eingetriebene Flüssigkeit ist in alle Theile und
Buchten der Gelenkhöhle gelangt, und hat selbst die hintere Kapselwand
so weit abgehoben, dass die Rückfläche des lateralen condylus femoris
sichtbar geworden ist. Das Ligamentum mucosum patellae und das liga-
mentum eruciatum anticum fielen gerade in die Schnittfläche.

Es ist bekannt, dass Bonnet der erste war, welcher Injektionsversuche
an Gelenken anstellte, und durch dieselben nachwies, welche Stellung des
Gelenkes der grössten Geräumigkeit der Synovialhöhle entspricht. Es
zeigte sich dass bei allen Gelenken die Beugestellung es war, die die
grösste Flüssigkeitsmenge in die Gelenkhöhle eintreten liess, und dass
bei starkem Injektionsdrucke alle Gelenke, mochten sie nun vorher irgend
welche andere Stellung innegehabt haben, die Beugestellung einnahmen
und in derselben beharrten, so lange der Druck anhielt. Der Gedanke lag
nun nahe, dass auch bei den Erkrankungen der Gelenke, die mit Flüssig-
keitserguss in die Synovialhöhle verbunden sind, die Beugestellung,
welche die Kranken dem Gelenke unwillkührlich dabei zu geben pflegen,
durch den Druck der Flüssigkeit direkt hervorgebracht werde. ,N

Längsdurchscimitt durch das gefrorene
Kniegelenk eines erwachsenen kräftigen
Mannes. 1/2.

. femur. 2. tibia. 'S. patella. 4. lig. cruc. post. ahscissum.
. bnrsa mucosa. 6. m. extensor quadriceps. 7. lig. patellae.
8. m. semirnembranosus. 9. m. gastrocnemius.

Gegen eine solche Auffassung sprechen aber bei dem Kniegelenke
mehrere Momente, die sich gerade bei der Betrachtung vorliegender Abbildung
gut erläutern lassen. Die Geräumigkeit der Gelenkhöhle hängt
grösstentheils mit davon ab, dass die in die Strecksehne eingewebte Kniescheibe
von der Condylenfläche sich entfernen lässt. Dies ist aber nur
dann in weiter Ausdehnung möglich, wenn die Strecksehne erschlafft ist,
also im Zustande der Streckung oder der nur schwachen Beugung des
Gelenkes. Bei jedem höheren Grade von Beugung muss durch die dadurch
bedingte Spannung des quadriceps die Kniescheibe gegen die Condylen
angepresst werden, dadurch also eine Einschränkung des Kapselraumes
hervorrufen. Man wird deshalb am Kniegelenke zu erwarten haben, dass
in Folge der Ausbreitung des Synovialraumes weit unter die Strecksehne
hinauf, auch bei der gestreckten Lage, sich ziemlich grosse Mengen
Flüssigkeiten injiciren lassen, und die höheren Beugegrade geradezu
ungünstig auf eine solche Injektion einwirken müssen. Es erschien mir
daher angezeigt, eine Wiederholung der Honnef sehen Versuche am Kniegelenk
vorzunehmen; und zwar an ganzen Cadavern, mit möglichster
Schonung der Theile am Kniegelenk. Die Methode, welche ich hierbei
anwendete, war folgende:

Der normale, möglichst frische Leichnam wurde nach gewaltsamer
Lösung der Todtenstarre der unteren Extremitäten mit dem Rücken aut
einen horizontal stehenden Tisch gelegt; der Unterschenkel hing über den
freien Tischrand herab und wurde während des Versuches von einem Gehülfen
durch Unterstützung der Ferse in der nöthigen Lage fixirt. In die
tibia wurde an deren oberem Drittel eine Schraube eingetrieben, an deren
freiem Ende eine Holzplatte befestigt war, die zum Festhalten einer Scheibe
diente, welche einen mit Gradtheilung versehenen Halbkreis darstellte;
diese Scheibe wurde in der Weise gestellt, dass ein im Mittelpunkt des
Kreises befestigtes Senkblei bei vollständiger Streckung des Beines auf
dem Nullpunkt stand, so dass man sofort die Grade der Beugung bequem
ablesen konnte. Auf die Rotation des Unterschenkels bei der Beugung;
wurde dabei keine Rücksicht genommen. Zur Injektion wurde, um die
Diffusion der Flüssigkeit durch die Kapsel zu vermeiden, eine entsprechende
Kochsalzlösung benutzt, die sich in einer 150 Centimeter langen, graduirten
Röhre befand, an deren unterem Ende ein kurzer Kautschukschlauch,
welcher eine starke Pravaz sehe Nadel trug, befestigt war. Die Röhre
wurde in schräger Lage durch einen auf dem Tisch verschiebbaren gabelförmigen
Halter so fixirt, dass die den Höhenunterschied des Einstichspunktes
und des Niveaus der Flüssigkeit angebende senkrechte Linie
immer dieselbe blieb, wodurch also der Druck, den die gleichbleibende
Höhe des Halters angab, constant erhalten wurde. Es bildete somit der
Apparat ein rechtwinkliges Dreieck, dessen Hypotenuse durch die schräg
liegende Röhre, dessen eine Kathete durch ein Stück des Halters, dessen
andere Kathete durch eine horizontale Linie gebildet wurde, welche parallel
der Tischplatte lief und vom Einstichspunkt bis zum Halter reichte. Da
der Einstichspunkt möglichst nahe der Drehaxe gelegt ward, so blieb derselbe
bei den Beugungen des Knies nahezu unverändert und man konnte
nun bequem bei dem wechselnden Wasserspiegel in der Röhre nach Kubik-
centimetern die Verringerung oder Vermehrung der Flüssigkeit in der
Röhre ablesen. Der Halter musste natürlich stets unter den Meniscus der
Flüssigkeit untergeschoben werden, während der Nullpunkt der Glasröhre
in unveränderter Lage zum Einstichspunkt gehalten wurde. Während
also die Kathete des Dreiecks, die den Druck angab, immer dieselbe blieb,
änderte sich die Länge der Hypotenuse und die Länge der anderen Kathete,
sie wurden grösser bei Verminderung des Volumens des Synovialraums,
kleiner im umgekehrten Fall.

Durch diese Untersuchungsmethode ward es möglich, was die Bonnef-
schen Versuche nicht leisten konnten, folgende Punkte genau zu bestimmen.
Zunächst konnte man die Abhängigkeit der Capacität des Synovialraums
von der Winkelstellung des Beines erforschen, da der
Druck der Flüssigkeit auf die Kapselwandungen immer ein und derselbe
blieb, und diese bei der Intactheit der Leiche und der Extremität ihr
ursprüngliches Verhältniss in Bezug auf die Bedeckungen mit Haut, Fett,
Muskeln u. s. w. darboten. Sodann konnte der Grad der Beugung, bei
welchem die Synovialhöhle das Maximum ihrer Capacität erreicht und
der von Bonnet als Mittellage zwischen Beugung und Streckung bezeichnet
wird, genau angegeben werden. Endlich konnte man das Volumen des


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