Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., RA gr.2.2014/14-1
Braune, Wilhelm [Hrsg.]
Topographisch-anatomischer Atlas: nach Durchschnitten an gefrornen Cadavern (Text)
1872
Seite: 29a
(PDF, 16 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/topographisch1872-1/0061
Synovialraumes bei den verschiedenen Stellungen des Beines nach
Kubikcentimetern messen.

Die vorstehenden Zahlen, welche die Winkelgrade der jedesmaligen
Beugung angeben, sind nach der obigen Beschreibung leicht zu verstehen:
0° entspricht der vollständigen Streckung des Beines, 10° der Beugung um
diese Zahl von Graden, sodass nun der Oberschenkel mit dem Unterschenkel
einen Winkel von 170° bildet u. s. w. Die Volumzahlen geben die jedesmalige
Flüssigkeitsmenge in der Kapsel nach Kubikcentimetern an; die
Zahlen des Druckes den Höhenunterschied der besprochenen Punkte.

I. Versuch. Leichnam eines etwa 50jährigen Mannes, der noch ziemlich
frisch war. Muskulatur und Ernährungszustand verhältnissmässig gut.
Die Todtenstarre des Schenkels wurde gewaltsam gehoben. Der Druck
betrug 19 Ctm.

Winkel 0°, 10°, 20°, 30°, 40°, 50°, 60°, 70°; 80°, 90°, 100°
Volumen 312, 328, 332, 331, 330, 326, 316, 303, 283, 265, 255

Nachherige Controlversuche ergaben ganz geringe Differenzen, so dass
die Diffusion der Flüssigkeit durch die Kapsel minimal war.

II. Versuch. Cadaver noch ganz frisch. Keine Todtenstarre. Der

Leichnam war der eines abgemagerten Zuchthaussträflings. Der Druck

betrug 23 Ctm.

Winkel 0°, 10°, 20°, 30°, 40°, 50°, 60°, 70°, 80°, 90°, 100°, 110°
Volumen 114, 128, 137, 141, 141, 140,135, 125, 112, 99, 86, 75

III. Versuch. Dasselbe Cadaver wie bei dem vorigen Versuch, aber
das andere Knie. Der Druck betrug 34 Ctm.

Winkel 0°, 10°, 20°, 30°, 40°, 50°, 60°, 70°, 80°, 90°, 100°, 110°
Volumen 83, 95, 104, 111, 110, 109, 107, 93, 91, 83, 66, 54

IV. Versuch. Männlicher Leichnam, 50 Jahre alt, Zuchthaussträfling

aus Waldheim. Cadaver 8 Tage alt. Schlechter Ernährungszustand.

Todtenstarre gewaltsam gehoben. Der Druck betrug 42 Ctm.

Winkel 0°, 10°, 20°, 30°, 40°, 50°, 60°, 70°, 80°, 90°
Volumen 143V2, 149^2, 151V2, 146i/2, 139, 130, 118, 102, 88, 78

V. Versuch. Frischer, 2 Tage alter, muskulöser Leichnam eines
wohlgebildeten 36jährigen Mannes; die starke Todtenstarre ward gewaltsam
gehoben. Kniegegend normal.

Winkel 0°, 10°, 20°, 30°, 40°, 50°, 60°, 70°, 80°, 90°, 100°
Volumen 79, 90, 98, 104, 101, 98, 82, 91, 67, 50, 32

Controlversuche ergaben, dass die Fehler durch Diffusion der Flüssigkeit
fast null waren.

VI. Versuch. Mann in den 30er Jahren, gut genährt. Das Knie
war sehr steif und konnte nur mit grosser Gewalt gebeugt und beweglich
gemacht werden. Der Druck betrug 52 Ctm.

Winkel 0°, 10°, 20°, 30°, 40°, 50°, 60° 70°, 80°
Volumen lOS1]^ II8V2, 125, 1251/2, 124V2, 115, 105, 101, 95

Die Resultate, welche aus diesen Versuchen hervorgehen, fasse ich

in folgende Sätze zusammen:

1. Die Kniegelenke zeigen bei gleichem Grade der Beugung
an verschiedenen Individuen eine sehr grosse Differenz der
Capacität des Synovialraumes.

Die Verschiedenheit des Druckes kommt hierbei nicht in Betracht, da
ja gerade beim niedrigsten Druck das Volumen der.Flüssigkeit im Gelenk
am grössten war. Es ist vielmehr der Zusammenhang der Gelenkhöhle
mit benachbarten Schleimbeuteln, der diese Erscheinung bedingt.

2. Die Capacität des Synovialraumes erreicht bei einem bestimmten
Grade der Beugung ihr Maximum, und zwar beträgt
der Winkel, bei welchem dies geschieht, durchschnittlich zwischen
20°—30°.

Dieser Satz lehrt uns, dass die Angabe Bonnet's, nach der das Capa-
citätsmaximum in der halbgebog'enen Stellung eintrete, unrichtig ist; denn
wir sehen, dass vielmehr die beginnende Beugung diejenige Lage ist,
in der die Synovialhöhle das grösste Volumen zeigt.

Aber noch ein zweites nicht minder interessantes Verhältnis» ist aus
den vorstehenden Versuchen ersichtlich. Es zeigt sich nämlich, dass die
Zunahme der Capacität von der völligen Streckung bis zu 10° Beugung am
stärksten ist, geringer die Zunahme von 10°—20°, und noch geringer in
den betreffenden Fällen von 20°—30°. Hieraus folgt die praktisch wichtige
Thatsache, dass schon eine ganz geringe Beugung, wie die von 10° ist,
die relativ höchste Capacitätszunahme der Kapsel bedingt.

Endlich: ist das Gelenk in der Stellung, in welcher es am meisten
Flüssigkeit zu fassen vermag, vollständig angefüllt, so lässt es sich, ohne
Gefahr einer Ruptur der Kapsel, mit Gewalt in die gestreckte Lage zurückführen
. Auch in diesem Punkte differiren meine Resultate von denen Bohnets.

3. Mit dem Maximum der Beugung fällt das Minimum der
Capacität der Synovialhöhle zusammen.

Hierdurch ist die bei Gelegenheit der Therapie der penetrirenden Gelenkwunden
ausgesprochene Ansicht Bonnets widerlegt, dass die Extension
des Beines diejenige Lage sei, welche die Capacität der Kapselhöhle am

meisten verkleinere. Zwar werden bei gestreckter Lage, wie Durchschnitte
durch gefrorene Kniegelenke zeigen, die Gelenkflächen durch die straff
gespannten Seitenbänder dicht aneinander gehalten, trotzdem aber ist die
Geräumigkeit der Kapsel in dieser Lage eine verhältnissmässig bedeutende,
und zwar ist sie grösser, als bei halber, beträchtlich grösser, als bei vollendeter
Beugung. Beugt man das Knie gewaltsam aus der gestreckten Lage,
so tritt, wenn das Gelenk in dieser Lage mit Flüssigkeit ganz erfüllt war,
wegen der mit der Beugung zunehmenden Verringerung des Kapselvolumens
ein Grad der Beugung ein, bei welchem die Kapselwand zerreist und
die Flüssigkeit in die umliegenden Gewebe tritt.

Aber auch die klinischen Verhältnisse lassen gegen die Richtigkeit
der mechanischen Theorie Bonnets am Kniegelenk Zweifel erheben. Gerade
diejenigen Fälle von Arihromeningitis acuta serosa, welche am wenigsten
die Bandapparate des Gelenkes in Mitleidenschaft ziehen, und vorzugsweise
durch reichlichen Erguss in die Gelenkhöhle ausgezeichnet sind,
zeichnen sich durch eine oft vollkommene Streckung des Kniegelenkes
während der ganzen Dauer der Erkrankung aus, eine Beobachtung, die ich
l wiederholt gemacht habe, die auch ihre Bestätigung bei Volkmann (Krank-
i heiten der Bewegungsorgane. 1865. p. 195) findet. Ebenso können selbst
reichliche Blutergüsse in das Kniegelenk eine gestreckte Lagerung der
Extremität recht gut vertragen lassen.

Figur 2.

Der hier vorliegende Längsdurchschnitt eines normalen rechten Fusses
stammt von demselben weiblichen Cadaver, welcher der anderen Abbildung
! auf dieser Tafel zu Grunde liegt. Der Schnitt lief in der Nähe des inneren



■ Fussrandes und traf der Reihe nach tibia, talus, calcaneus, os naviculare,
os cuneiforme primum, os metatarsi primum und die erste plialanx der
grossen Zehe. Bei der zweiten phalanx trat die Säge heraus, da die Zehe
etwas nach aussen abgebogen war in der Weise, wie es beim Tragen engen

! Schuhwerkes vorzukommen pflegt. Man sieht daher beim Betrachten des
Fussdurchschnittes von innen her, das Nagelglied der grossen Zehe nahe
neben den anderen liegen.

Der Schnitt ging näher dem inneren Fussrande durch die Länge des
Fusses als er von Webe?" (Gehwerkzeuge, Tab. XI), Volz (Beitrag zur
chirurgischen Anatomie, Tab. X), Ilenle (Gelenke, Fig. 136, 137) angelegt
wurde. Aber auch nur dadurch war es möglich, das Würfelbein und dritte
Keilbein zu vermeiden, welche so weit nach innen vorspringen, dass sie bei
den weiter nach aussen angelegten Längsschnitten mit getroffen werden und
dadurch das Verständniss des Bildes erschweren. Die Knochen des Fusses
liegen nicht einfach so neben einander, dass sie nur eine Wölbung in der
Richtung von vorn nach hinten bilden, sondern schieben sich zugleich so
unter einander, dass ausser der Längswölbung eine Querwölbung zu Stande
kommt. Es lässt sich leicht durch Messung nachweisen, dass durch den
Druck der Körperlast bei aufrechter Stellung die Krümmung des Fussgerüstes
in doppelter Weise abgeflacht wird, und der Fuss sich nicht nur
verlängert, sondern auch verbreitert.

Aus der Abbildung ist recht gut ersichtlich, wie der talus, der gerade
in seiner Gelenkverbindung mit dem calcaneus getroffen wurde, als Schlussstein
in das Gewölbe eingesetzt ist. Er keilt sich so zwischen das os navi-
culare und den calcaneus hinein, dass er beide Knochen auseinander presst,
und somit eine Annäherung beider zu einander verhindert.

Entsprechend dem Gewölbeaufbau, den die einzelnen Knochen des
Fusses herstellen, verhalten' sich auch die Bänder. Dieselben sind verhältnissmässig
schwach an der convexen Rückenfläche, wo an sich schon der
auf das Gewölbe pressende Druck die einzelnen Stücke in ihrer Lage
erhält, ausserordentlich stark dagegen an der Hohlfussseite angelegt, wo
sie das Auseinanderweichen der Knochen zu verhindern haben. Die Forin

I- der Knochen allein ist es nicht, welche den kunstvollen Bau sichert: derselbe
müsste auseinanderfallen, wenn nicht die kolossalen Bandapparate der
Fusssohle, die noch durch die fascia plantaris mit ihren Anheftungen an
die vorderen Theile des Knochengerüstes verstärkt werden, die Spannung
erhielten.

Ich habe nicht nÖthig, die Aufzählung der einzelnen Theile hier zu
wiederholen. Die genaue Bezeichnung auf der Abbildung selbst erläutert
die Bedeutung der Weichtheile genügend. Dagegen sei noch mit einem
Worte auf das Fettpolster aufmerksam gemacht, welches gerade an den
Hauptdruckstellen der Fusssohle besonders stark entwickelt erscheint, um
durch eine möglichst grosse Vertheilung des Druckes auf verschiedene
Punkte die Macht desselben abzuschwächen. Die Stärke desselben beträgt
an der Ferse über 1 Centimeter und in der Gegend des Ballens, da wo man
das eine Sesambein der grossen Zehe durchschimmern sieht, nahezu ebenso
viel; so dass wir auf einer weichen Unterlage einhergehen, die die Rauhigkeiten
des Bodens theilweise ausgleicht.


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