Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., B 9529
Die vierte Säcularfeier der Universität Tübingen im Jahre 1877
Tübingen, 1878
Seite: 22
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risciie Culturmission gehabt, waren längst vorüber. Aber liier hatte sich die gute alte Ueber-
lieferung erhalten. Und eine unschätzbare Triebfeder war dabei die ausgesprochene Liebe der
Landes- und Stammesangehörigen zu der Hochschule, jenes Bewusstsein, in welchem jeder gerne
sagte: es ist unsere, es ist meine Universität.

Und wenn wir denn von unserer Hochschule als einer schwäbischen reden, so dürfen wir
auch an gewisse Stammeseigenschaften erinnern, welche gerade bei der lebendigen Erhaltung
der Hochschule in Betracht kommen.

Man nennt gern als eine Eigenschaft des Stammes den Zug des sinnigen Betrachtens und
des Schauens in der Gedankenwelt. Und Thatsache ist unstreitig, dass neben grossen Dichtern
vor-allem Philosophen, auf deren Namen die deutsche Nation stolz ist, von ihm ausgegangen
sind. LTnd diese Nation hat wohl kaum eine andere Stätte gehabt, wo die grossen Epochen
ihres Geisteslebens allgemeiner mit erlebt, die grossen Schöpfungen desselben tiefer ergriffen
worden wären. Es mag ja die Anlage zum inneren Schauen zuweilen die ebenmässige Entwicklung
der verständigen Beobachtung überflügeln. Aber der Geist idealer Auffassung ist von unschätzbarer
Wirkung gewesen, nicht nur für das Gedeihen der Hochschule, sondern auch für
den Charakter derselben.

Sodann gehört unter jene Eigenschaften in zweiter Linie eine gewisse unbeugsame Behauptung
der Eigenart und Unabhängigkeit, welche sich immer gerne an Lehrern und Lernenden
bewiesen hat. Niemand verzichtet leicht auf das eigene Urtheil, nie ist die Neigung, sich dem
Namen des Meisters zu verschreiben, gross gewesen. Und selbst eigentlich schulmässige Einrichtungen
haben den Geist der Selbstständigkeit nicht erstickt, sondern nur gereizt. Es hat
Tübingen zu keiner Zeit an hochangesehenen Gelehrten gefehlt. Aber vielleicht noch grösser
ist das Verdienst der Universität, wenn wir nicht nur auf die Leistungen der Lehrer selbst
sehen, sondern auf die beständige Anregung zu selbstständigem Denken und wirklichem geistigem
Schaffen, welche sie gegeben hat.

Der Trieb, sich im eigenen Wesen zu behaupten, hat wohl auch der Hochschule zu Zeiten
ein gewisses Gepräge der Einseitigkeit und der Abschliessung nach aussen gebracht. Nicht ohne
Gefahr. Denn gerade die in sich gekehrte Art bedarf des Antriebes von aussen, um zu voller
Kundgebung zu gelangen, die starke Neigung zum unablässigen Prüfen führt wohl auch zur
Ungerechtigkeit gegen sich selbst. Wie mancher Sohn Schwabens ist erst ferne von der Heimath
zum Schaffen und zum Ruhme gelangt. Wie manche edle Kraft zu Hause verborgen geblieben
, ja wohl auch verkümmert. Die Lage ist heute eine andere geworden. Jetzt ist der
Austausch der Kräfte und der Sinnesweise in die heimische Bildungsstätte selbst verlegt, für
Lehrer und Lernende, in einem Masse, wie es in früheren Zeiten kaum möglich war.

Wer möchte, wenn er den heutigen Besuch unserer Universität ansieht, den inneren Zusammenhang
verkennen zwischen dem herrlichen Einigungswerk der deutschen Nation und der
Blüthe einer Hochschule. Wir sind nicht mehr, wie im vorigen Jahrhundert geklagt wurde, in
einem abgelegenen Winkel Deutschlands, wir fühlen uns in das Herz des grossen Vaterlandes
versetzt. Aber nicht bloss das Einheitsgefühl des Deutschen mag uns hiebei die Brust schwellen,
sondern ebenso die Hoffnung um so reicherer Früchte im Berufe der Hochschule, und — ich
setze hinzu — auch die Gewissheit des Gewinnes für den schwäbischen Stamm selbst.

Die geistige Arbeit vollzieht sich nicht einfach nach den grossen Gesetzen der Gesammt-


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