Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., B 9529
Die vierte Säcularfeier der Universität Tübingen im Jahre 1877
Tübingen, 1878
Seite: 25
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vielmehr sie sollte diese erst recht werden, indem sie die würdige Vertretimg freier Forschung
wurde. Jetzt gab man der Einsicht Folge, dass Naturkunde und Heilkunde nicht bloss aus
Büchern zu erlernen sei. Die Schaffung von Anstalten war als gebieterische Forderung erkannt.
Zurückbleiben hiess untergehen. Redlich ist die Forderung erfüllt worden. Die Gründung von
drei neuen Facultäten hat gerade an unserer Hochschule den ernstlichen Willen bewiesen, allen
Bedürfnissen der Gegenwart gerecht zu werden. Die Stiftung der katholisch-theologischen Fa-
cultät, gelohnt fast sofort durch den glänzenden Ruf derselben, gehört dem freien Grundsatze
der Religionsgleichheit an, die Gründung der staatswissenschaftlichen Facultät entspricht der
höheren Erkenntniss von den reichen Aufgaben des Staates, an welcher hier mit hervorragender
Kraft gearbeitet wurde, die der naturwissenschaftlichen Facultät, geboren aus dem Selbstgefühle
trefflicher Forscher, bezeichnet das unaufhaltsame Wachsthum der Naturkunde selbst. Aber
auch die Vermehrung des Lehrkörpers in allen seinen übrigen Theilen ist das Zeichen der allgemeinen
Bewegung.

Dieses alles schon darf uns mit Lebensfreude und jugendlicher Hoffnung erfüllen. Wir
stehen im Dienste einer Arbeit, welche nicht altert, sondern ewig sich verjüngt. Sie geht nicht
bloss in die Breite wie das geschwäzige Alter, ihre Ausdehnung bedeutet, dass die weite Welt
sich in ihrer unermesslichen Fülle dem Wissen erschliesst. Sie beweist, dass wir jenem ersten
Ziele näher gekommen sind: aus den wirklichen Quellen zu schöpfen.

Aber auch die Zusammenfassung der Wissens- und Lehrgebiete in der Einrichtung der
Universität hat sich bewährt. Wenn wir die glänzenden Namen der Männer an uns vorübergehen
lassen, welche an unserer Universität in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts gewirkt
haben, so finden wir, dass unter ihnen die Theologie, die Rechtslehre, die Staatswissenschaft wie
die Naturkunde gleichmässig vertreten sind, und class es ein Geist, ein Trieb war, der sie beseelt
hat. Und wenn wir uns an die Zeit zurückerinnern, in welcher gerade hier das Wort von freier
Forschung unter der Fahne genialer Philosophie begeisterte Jünger gesammelt hat, so finden
wir, dass sie ihre Früchte auch in allen Fach-Schulen getragen hat. Die Menge der Wissenschaften
, die Summe dessen, was als wissenswerth gilt, ist gewachsen, aber die Grundsätze, die
leitenden Gedanken alles Forschens und Wissens sind einfacher und in Wahrheit einheitlicher
geworden. Es ist nicht mehr an dem, dass in allen Hörsälen nur Bücher erklärt werden. Die
Unterrichtsweise ist heute eine unendlich mannigfaltige. Aber gerade damit folgen wir alle
einem obersten Grundsatze, und dieser Grundsatz lautet, dass wir uns der Natur unseres Gegenstandes
beugen. Wir meistern nicht die Welt unseres Wissens mit unseren Gedanken, wir lassen
unsere Gedanken meistern von der Wirklichkeit. Keine Wissenschaft kann sich diesem Gebote
heute entziehen. Ein anderes Lehren findet nicht mehr die Geduld vergangener Zeiten, und
schnöde Abrichtung der Jugend für willkürliche Zwecke hat keinen Bestand, weil die Forderung
des Beweises der Wahrheit Gemeingut geworden ist.

Das Selbstgefühl dieser Grundsätze erfüllt vor allem die noch so junge Naturforschung,
die ihren Ruhm darin findet, nichts zu suchen und nichts wissen zu wollen, als wie die Dinge
sind und wie sie so geworden sind. Sie verzichtet auf die Frage des Warum und Wozu, weil
es herrlicher ist, weniges zu wissen als vieles zu vermuthen. So forscht auch die Geschichte
nach den Thatsachen, welche sie wirklich beweisen kann, aber auch nach den Ideen einer Welt,
welche nicht mehr ist, und nur im Lichte dieses Verständnisses für uns wieder aufleben kann.

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