Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., B 9529
Die vierte Säcularfeier der Universität Tübingen im Jahre 1877
Tübingen, 1878
Seite: 121
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VON DEM EVANGELISCHEN OBERKIRCHENRATH

IN BERLIN.

Der Evangelische Ober-Kirchenrath der preussischen Landeskirche will es sich nicht versagen
, auch seinerseits die Universität Tübingen aus Anlass des Gedächtnisses ihres vierhundertjährigen
Bestehens glückwünschend zu begrüssen. Mehr als einmal hat seit den Tagen der Reformation
Würtemberg vornehmlich durch seine Universität heilsam bestimmend auf die Wis-
senschaft, namentlich auf die evangelische Theologie und damit auf das Leben der Kirche eingewirkt
. Es war in Tübingen, wo Melanchton, der praeceptor Germaniae zuerst seine Schwingen
übte, um mit reichen Schätzen des Wissens ausgestattet und von begeisterter Lust an Quellenforschung
erfüllt, nach Norddeutschland zu ziehen und als Luther's treuer Genosse die Fundamente
für die erneute Kirche zu legen, innerlich durch eine mit dem edleren Humanismus vermählte
und durch Schriftstudien neugeborne Theologie, äusserlich durch Berathung von Fürsten
und Städten, wie durch weise Kirchenordnungen. Unter den Bekennern evangelischen Glaubens
und den Vertretern evangelischer Wissenschaft, standen die Theologen der Universität Tübingen
mit den Würtembergischen Landen frühe in vorderster Reihe. Jünger dieser Hochschule,
Meister der Wissenschaft, sei es auf akademischem Lehrstuhl, sei es in anderen amtlichen Stellungen
, sei es zu Haus, sei es ehrenvoll in andere deutsche Länder berufen, haben mit weitreichendem
Erfolg und Segen für die Wissenschaft gearbeitet, zum Theil ihr neue Bahnen gebrochen
. Dankbar gedenkt Deutschland eines David Chytraeus, Polykarp Lyser d. Ä. und Martin
Crusius, eines Valentin Andreae, des Kanzlers Christoph Matthaeus Pfalf, und besonders des
grossen Theologen Johann Albrecht Bengel, des Gründers einer aus dem Glauben geborenen und
ihm dienenden wissenschaftlichen Kritik der heiligen Schrift. Die trefflichen bis zur Reformation
zurückgreifenden und in der deutschen evangelischen Kirche einzig dastehenden Anstalten Wür-
tembergs für Bildung des theologischen Nachwuchses wurden von der Ueberzeugung geleitet und
gepflegt, dass wahre Wissenschaft und evangelischer Glaube nicht wider einander sein können,
sondern unauflöslich zusammengehören. So wurden sie zu Mittelpunkten für Begründung einer
festen evangelischen Lehrüberlieferung, wie einer Jahrhunderte hindurch stetig fortschreitenden
Entwicklung der Theologie und kaum dürfte ein anderes Land zu nennen sein, welches in seiner
theologischen und kirchlichen Haltung, so wie Würtemberg den Charakter der Selbständigkeit,
Lebendigkeit und Stetigkeit in den vierthalbhundert Jahren seit der Reformation bewahrt hätte.
Kaum anderswo ist die theologische Jugend so planmässig zu gründlichen, auch philosophischen
Studien angeleitet worden. Nirgends sind die Systeme der Philosophie von Wolff und Bülffinger
an, die der Reihe nach in den letzten hundert Jahren aufgetreten sind, gründlicher verarbeitet
worden als auf der Tübinger Hochschule. Von ihr, speziell aus ihrer theologischen Bildungsanstalt
, sind dann auch Männer wie Schelling und Hegel hervorgegangen, die fast auf alle Gebiete
deutscher Wissenschaft einen so tief greifenden Einfluss ausgeübt und einen Umschwung
hervorgerufen haben, unter dessen Impulsen auch die Gegenwart noch vielfach steht. Sind auch
durch die Sicherheit ihrer Fahrten auf die hohe See der Wissenschaft und besonders durch die
daran sich schliessenden historisch-kritischen Arbeiten über die heiligen Schriften ernste Krisen

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