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Florentiner Fürstenhauses gehabt haben, d. h. auch unserm Lorenzo näher getreten sein. Wie
dieser hegte auch er ein lebhaftes Interesse für die Reisen des Florentiner Kosmographen,
dessen Bekanntschaft er damals sehr wahrscheinlich längst gemacht hatte (Tose. 25). Ist es
nach alledem verwunderlich, dass er sich von Lorenzo den inhaltsreichen Brief Amerigos ausgebeten
und ihn durch die Uebersetzung ins Latein den gelehrten Kreisen zugänglich gemacht
hat? —
Viel misslicher steht es mit der Vermutung, dass das Schreiben nach Florenz geschickt
worden sei. Dann wäre dieses vertrauliche Schriftstück kurz nach dem Tode des Empfängers
(20. Mai i5o3) in dessen Papieren gefunden worden (Meaume, Rech. crit. et bibl. sur A.
Vesp. Nancy 1888. S. 17), nach Paris gewandert und dort schleunigst übersetzt und gedruckt
worden. Wir können uns für diese Ansicht von der «zigzag career» des A (Fiske,
The discovery of Am. Boston 1892, II. 117) nicht erwärmen, solange noch andere Wege
gangbar sind. Zu diesen gehört schliesslich folgender:
In der Zeit, als Vespucci den A schrieb, lassen sich zwei Mitglieder der Familie
Giocondo ausserhalb Italiens nachweisen, die beide mit derselben Bewunderung auf ihren
weitgereisten Landsmann blickten. Dies waren der Baumeister Giovanni G. in Paris und
ein gewisser Giuliano di Bartholomeo del G. in Lissabon, der Amerigo bewog, Sevilla zu
verlassen und in portugiesische Dienste zu treten (Band. 46). Dieser italienische Kaufmann
hat nicht nur Vespucci veranlasst, Cabrals Spuren i5oi zu folgen, sondern er wird auch von
dem Florentiner Kosmographen die genauesten Nachrichten über den Verlauf dieses schwierigen
Seezuges erhalten haben. Dass dieser Giuliano G. damals wirklich an der Mündung
des Tejo weilte, dafür habe ich den schlagenden Beweis aus dem «Tagebuch des Lukas Rem
aus den Jahren 1494—1541, Augsb. 1861. S. 8» erbracht. (Siehe meine Programmarbeit
S. 3.) Amerigo aber hat wohl seinem Lissaboner Freunde nicht nur ausführlich von seinen
nautischen Taten erzählt, sondern er hat ihm vielleicht auch Einblicke in die Schreiben gewährt
, die für Lorenzo bestimmt waren. Könnten wir nun nachweisen, dass die beiden Gio
condo in Briefwechsel miteinander gestanden haben, dann wäre auch die Vermutung erlaubt,
dass durch den Lissaboner Giocondo eine Abschrift des A nach Paris gelangt sei. —
Wir wollen nun das Verhältnis beleuchten, in dem der ursprüngliche Text zu der
lateinischen Uebersetzung steht. Da das Original bis jetzt nicht aufgefunden, daher jedenfalls
für immer verloren gegangen ist, so lässt sich über seine Beschaffenheit nur wenig sagen.
Aus dem Schlusskapitel des A ergibt sich, dass Giocondo eine italienische Quelle benutzt
hat. Der Gebrauch des Wortes «dies» im Sinne von navigatio beweist uns, dass der Florentiner
an dieser Stelle das Wort «giornata» (port. span. jornada) geschrieben hat, das von ihm
auch im Lettera mehrmals verwendet worden ist. Ob der Urtext noch mehr Spagnuolismen
enthalten hat oder nicht, wage ich nicht zu entscheiden. Dass Giocondo wirklich ein Handschreiben
Vespuccis oder eine Kopie desselben vor Augen gehabt hat, ist von niemandem angezweifelt
worden ausser von Force (Congres int. des Am. Brüx. 1879. S. 291). Dieser versteigt
sich zu der absonderlichen Behauptung, der Veroneser Architekt habe den A in seinen
Mussestunden «komponiert». Zu dieser Ueberzeugung will Force durch die kindlich-naive,
teilweise sogar verworrene Fassung der kosmographischen und astronomischen Kapitel des
Briefes gedrängt worden sein. Mit Recht hat Hugues (Boll, della Soc. G. It. 1891, S. 862)
betont, wie unsinnig es ist, derartige Ungereimtheiten einem «distintissimo architetto e mate-
matico» zuzutrauen. Giocondo hat auch die ihn weniger befriedigenden Teile des A übersetzt
und vielleicht das Dreieck hinzugezeichnet, um die weitschweifigen Worte Amerigos verständlicher
zu machen. Trotzdem ist gar mancher Uebersetzer des Mundus mit seiner Kunst an
dieser Klippe gescheitert.
Schwierig zu entscheiden ist es, ob bei der Fassung des vorliegenden Textes Lamberts
neben Giocondo auch dieser Drucker oder sein Gehilfe F. Baligault (Picot s. o. S. 424) die
Hand im Spiel gehabt hat. Da kommt zunächst die merkwürdige Ueberschrift in Betracht.
Ohne Zweifel hat die Urschrift den Vornamen des Seefahrers nicht in der Form gebracht,
wie sie das Titelblatt der editio prineeps aufweist. Wir kennen keinen Brief Vespuccis, den
er mit Alberigo unterzeichnet hat. Dass unser Kosmograph sich in der Zeit vom 18. Juli
i5oo bis zum 4. September i5o4 auch in der Fremde nur Amerigo genannt hat, erhellt dar-
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