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heit halber wurde der gute Junge auf den Namen Villon um/
getauft und (vielleicht sogar mit einem gewissen körperlichen
Recht!) kurz: „Der Sohn" genannt. Zum Wirkungskreis aus/
gelassener Spiele wurde ihm vorerst die umfangreiche Bibliothek
angewiesen. Es gab da keine Gläser zu zerschlagen, keine Zie/
rate von den Möbelstücken zu brechen. An den Wänden stan/
den in hohen Regalen die schweren Folianten in Reih und Glied,
viel zu schwer und unhandlich für so einen magren Dreikäse/
hoch. In seinem siebenten Jahr aber las er bereits Griechisch
und Latein und hatte es mit Hilfe des klösterlichen Schreibers
Sabeau zu einer fabelhaft flüssigen Handschrift gebracht, zu
einer staunenswerten Fertigkeit in der Miniaturmalerei. Der Herr
Kaplan war sehr zufrieden mit den Fortschritten seines Schütz/
lings und an einem schönen Sommerabend packte er ihn in die
Kalesche und brachte ihn auf die Schule der Faculte des Arts.
Das war in des Meisters dreizehntem Jahr. Er hatte das Aus/
sehen eines netten jungen Mannes von Sechzehn, etwas Flaum
lag ihm schon auf der Oberlippe und die Stimme klang dick
und dunkel. Er kam auch gleich zu den Chorsängern, erlernte
das Spiel auf dem Virginal und bewältigte mühelos die Pensen.
Der Rektor der Anstalt war ein Mann von Mitte Fünfzig, etwas
beleibt und, wie das in der damaligen Zeit nicht ungewöhnlich
war, und auch noch nicht den Gesetzen der hohen Obrigkeit
zuwider, den ihm anvertrauten Knaben nicht nur als Lehrer
zugetan. Der stramme, aber dabei doch ungemein gelenkige
Francois interessierte ihn besonders. Er unternahm ausgedehnte
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