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herrn eine Konzession zu machen. Am wohlsten hatte er sich
gefühlt, wenn seinesgleichen um ihn war. Seiner Herkunft nach
war er ein Proletarier. Seine Dichtung ist die erste proletarische;
aber nicht eine, die bloß die Vokabel aus diesem Menschenbe'
reich bezog und sie anstelle der sonst im höfischen Gedichtjargon
üblichen setzte, sondern die Spannungen der inneren Gesichte
aus der grausamen Wirklichkeit des Alltags bezog und sie zu
einer originalen Ausdrucksform verdichtete. An diesem Vor'
läufer aller wahrhaften „Volksdichtung" gemessen, wie hinter'
grundlos scharwerkert der dichtende Prolet von heute, wie tief
wurzelt er noch in der Ammenmythologie fossiler Welt, im Dänv
mer romantischer Landschaft, in der Temperatur des Magens!
Und dichtet gegen die Maschine, gegen den Trust, gegen die
Zeit. Die Atmosphäre des gediegen Bürgerlichen scheint ihm
(dem ewig im Aufruhr sich Dünkenden!) eine erstrebenswerte
Welt, die man, mit einigen kleinen Korrekturen, getrost einsacken
kann. Aus solchen schiefen Zerdehnungen kommt er zum Mit/
leid, zum O'Menschentum und zur Verklärung des Armleute/
Milieus.
Der proletarische Dichter Francois Villon jedoch schafft bewußt
die Fröhlichkeit des Herzens, die geistige Beschwingung, den
Tanz. In seinen Gedichten und Balladen ist nie ein Aufruhr
gegen die Zeit, aber eine Anheizung ihres Tempos spürbar; ist
nie der Mensch der Verachtung preisgegeben, aber die Maske sei'
nes Biedertums, die spießerischen Trägheiten. Seine Welt schoß
materiell aus dem Nichts empor, ihre Flugbahn jedoch war von
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