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machte es im Menschen, in seiner Welt und seinen Geschäften
mündig.
Wie restlos ihm dieser Prozeß gelungen ist, beweist die Gültig/
keit seines Werkes noch im Raum unseres komplizierten Kunst/
erlebnisses. Es hat im Wandel der Jahre nichts an Tempo ein/
gebüßt, höchstens nur ein Blasserwerden der historischen Färb/
flecke erfahren. Im stofflichen Gemeng der Historie liegt aber nie
die Bedeutungshöhe eines Gedichtes.
Es gibt in Deutschland heute eigentlich nur einen Dichter, der
am Rande der Werkleistung Villons bestehen kann als ein selb/
ständiger Kopf. Es gibt nur einen, der sich von den hirnlichen
Belastungen, von der Akrobatik des Handgelenks endlich be/
freit hat und die Wesenheit aller Dinge besingt. Das ist Johannes
R. Becher. Ihm fehlt nur noch die polare Sicherheit des Ichge/
fühls, die Gleichung von Masse und Ich.
Der Fluch jeder ursprünglichenKunstäußerungist die bedrücken/
de Nähe der gesellschaftlichen Kastenbildung. Immer muß sich
der Künstler, will er sich in der tätigen Zeugungsglut seines Blu/
tes behaupten, zum Feind der Gesellschaft steigern. Er hat nie
etwas mit ihr gemein gehabt. Ihre Welt ist nicht seine Welt. Und
ihre Erlebnisformen sind fressende Flechten an der Gefühlshöhe,
/tiefe und /weite seiner Erlebnisbahnen.
Eine Erscheinung wie Villon hatte unter viel ungünstigeren mate/
riellen Bedingungen als der Dichter im gegenwärtigen Zeitraum
sein Werk vorwärts treiben müssen. Wir haben, an den seltsamen
Kurven seines äußeren Lebens, die Schwierigkeiten: gegen den ein/
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