Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V., Frei122-Z4
Zentralblatt für Okkultismus: Monatsschrift zur Erforschung der gesamten Geheimwissenschaften
1.1907/8
Seite: 148
(PDF, 135 MB)
Bibliographische Information
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- 148 —

„Alles Leben ist Leiden." Den tiefen Sinn des Wortes weiß jeder
Okkultist. Auch im Christentume fehlen solche Anklänge nicht. - Der
Weg nach Nirwana heißt Entsagung: Die größte Entsagung, die gefordert
werden kann, die Entsagung der eigenen Persönlichkeit, der „Illusion
* des Ich". Diese Idee ist im Okkultismus nicht neu. Niemals aber ist
sie mit solcher Konsequenz von einer Lehre gefordert worden, die sich
an die breiten Massen des Volkes wendet. Nie ist das Wesen der
Individualität so schroff abgegrenzt und bis zur Verneinung eingeengt
worden. Wenn der Buddhismus in Bezug auf die Frage nach den letzten
Dingen — und das ist wohl seine anerkannteste Weisheit — einem
Agnostizismus huldigt, und der Begriff Nirwäna schon um deswillen ein
schattenhafter sein muß, so ist es begreiflich, daß das Wesen der Individualität
in dieser seltsamen Religion, die eigentlich gar nicht ins
Bereich des Okkultismus gehört, für alle Fernerstehenden immer ein
geheimnisvolles Halbdunkel geblieben und bald als höchste Weisheit
gepriesen, bald als Pessimismus und Nihilismus verschrieen worden ist.
Die Idee vom Aufgeben der Persönlichkeit, der individuellen Begrenztheit
, im Sinne einer Erweiterung des individuellen Bewußtseins
zum Ein-All-Bewußtsein, liegt bekanntlich allen mystischen Systemen zu
Orunde und ist selbst im Christentume nachweisbar, so oft es intuitivmonistisch
erfaßt wurde. Es sei nur an die vielzitierten Verse von
Johannes Scheffler (Angelus Silesius) aus dem ^cherubinischen Wanders-
mann" erinnert. Sobald das göttliche Prinzip im Menschen, der Denker,
der hinter jeder Persönlichkeit steht, das höhere Ego der sogenannten
Theosophen, nicht individualistisch, sondern pantheistisch, als universeller
Lebenswille, aufgefaßt wird, ist der buddhistische Standpunkt nahezu
erreicht. Hier handelt es sich keineswegs um absolute Vernichtung,
sondern um eine Vernichtung der Leidenschaften und des Willens nach
individuellem Weiterleben. Der Begriff der Vernichtung ist also nur
ein relativer. Die wesentliche Abweichung liegt in der Auffassung der
vom Brahmanismus übernommenen Seelenwanderungsiehre, die — und das
ist wohl der schwächste Punkt im Buddhismus — einen völlig veränderten
Ausdruck gefunden hat, sodaß die Bezeichnung „Seelenwanderung" gar
nicht mehr zutrifft. Die metaphysischen Systeme, welche die Idee der
Wiederverkörperung vertreten, sind immer der Anschauung gewesen,
daß das Individuum, die Seele, die diesen Weg der Entwickelung verfolgt
, mit ihrer vorhergegangenen Daseinsform seelisch identisch ist.
Diese individualistische Anschauung teilt die buddhistische Lehre nicht.
Sie spricht nur von einer rNeu-Individuation". Nach ihr ist das gegenwärtige
Leben mit dem vorhergegangenen nur kausal verbunden, ohne
daß das gegenwärtige Leben mit seiner früheren Form seelisch identisch
ist. Nach buddhistischer Auffassung gibt es ein solches, für sich bestehendes
Seelenwesen, das die auf einander folgenden Lebensformen verbände
, überhaupt nicht. Nicht die Seele verkörpert sich aufs neue, sondern


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