Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V., Frei122-Z4
Zentralblatt für Okkultismus: Monatsschrift zur Erforschung der gesamten Geheimwissenschaften
1.1907/8
Seite: 410
(PDF, 135 MB)
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Sie wird erstlich, nach biblischer Anschauung, das im natürlichen
Egoismus versteinerte Herz erweichen und zu Taten der Ge-

r

rechtigkeit, Liebe und Selbstverleugnung fähig machen; und sie wird
zweitens, Hand in Hand damit, in uns die große Kants Lehre anti-
cipierende Erkenntnis der Upanischaden aufdämmern lassen, daß
diese ganze räumliche, folglich vielheitliche, folglich egoistische
Weltordnung nur beruht auf einer uns durch die Beschaffenheit
unseres Intellektes eingeborenen Illusion (mävä), daß es
in Wahrheit nur ein ewiges, über Raum, Zeit, Kausalität, Vielheit
und Werden erhabenes Wesen gibt, welches in allen Gestalten
der Natur zur Erscheinung kommt, und welches „ich",
ganz und ungeteilt, in meinem Innern als mein eigentliches
Selbst, als den Atman, fühle und finde.

So gewiß, nach Schopenhauers großer Lehre und auch nach den
Upanischaden — wir zitieren Chänd. Up. 3, 14: „Fürwahr, aus Willen
(kratu) ist der Mensch gebildet" — der Wille, und nicht der Intellekt,
den Kern des Menschen bildet, so gewiß hat das Christentum den Vorzug
, daß die Wiedergeburt des Willens seine Hauptforderung ist, — aber
so gewiß der Mensch nicht bloß Wille, sondern zugleich auch Intellekt
ist, so gewiß wird jene christliche Wiedergeburt des Willens nach der
andern Seite hin als eine Wiedergeburt der Erkenntnis sich kundgeben,
wie sie die Upanischaden — trotz des erwähnten Zitates — an erster
Stelle lehren.

„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst", fordert die
Bibel; — aber woher diese Zumutung, da ich doch nur in mir, nicht
in dem andern fühle? — „Weil", so fügt hier der Veda erklärend hinzu,
„dein Nächster in Wahrheit dein eigenes Selbst, und, was dich von ihm
trennt, bloße Täuschung ist."

Wie in diesem Fall, so ist es auf allen Punkten des Systems: das
Neue Testament und die Upanischaden, diese beiden höchsten Erzeugnisse
des religiösen Bewußtseins der Menschen, stehen nirgendwo, wenn
man nicht an der Außenseite klebt, in einem unvereinbaren Widerspruche,
sondern dienen in schönster Weise einander zur Erläuterung und Ergänzung
.

Ein Beispiel mag zeigen, welchen Wert die Upanischadenlehre für
die Ausgestaltung eines Christentums im höheren Sinne gewinnen kann.

Das Christentum lehrt seinem Geiste, wenn auch nicht überall
seinem Buchstaben nach, daß der Mensch als solcher nur zu sündlichen,
d. h. egoistischen Handlungen fähig ist (Römer 7, 18), und daß alles
Gute, seinem Wollen wie Vollbringen nach, nur von Gott in uns gewirkt
werden kann (Phil. 2, 13).

So klar diese Lehre für jeden, der Augen hat zu sehen, nicht
sowohl in vereinzelten Aussprüchen, als vielmehr schon in dem ganzen
System als solchem präformiert liegt, so schwer ist es doch zu allen


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