Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V., Frei122-Z4
Zentralblatt für Okkultismus: Monatsschrift zur Erforschung der gesamten Geheimwissenschaften
2.1908/9
Seite: 87
(PDF, 140 MB)
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Soll man nach dieser kurzen Uebersicht über die Erlebnisse und
Anschaungen der erfahrensten, ältesten französischen Spiritualistin ein
abschließendes Urteil über die Eigenart ihrer Stellung in der spiri-
tualistischen Bewegung äußern, so wird man zunächst wohl vor allem
Folgendes festzuhalten haben. Die Aufzeichnungen über ihre Erlebnisse,
die Manifestationsberichte und ihre Folgerungen müssen deshalb besonders
wertvoll erscheinen, weil sie von einer Persönlichkeit herrühren,
die Jahrzehntelang Gelegenheit zur Prüfung nicht nur in öffentlichen
S£ancen mit Berufsmedien, sondern meist in einwandfreien intimen
Zirkeln hatte. Beachtenswert erscheint ferner vom komparativen Gesichtspunkte
aus ein Vergleich zwischen ihren Lehren von der Genesis eines
Teiles der spiritistischen Phänomene und der Lehre mystischer Kreise hierüber
. So schreibt sie, wie die Theosophen früherer Zeit, die mittelalterlichen
Okkultisten und Naturphilosophen, die physikalischen Phänomene
des Spiritismus niedrigeren erdgebundenen Wesen zu, was allerdings
auch sonst in spiritistischen Kreisen geschieht. Andererseits glaubt sie
im Anschlüsse an einzelne Erlebnisse einen Teil der Kommunikationen
durch die alte gnostisch-esoterische Lehre der „Sympneumata" (Schwesterseelen
) ihre ständige, alle Existenzformen eines Manifestationszyklus durchdauernden
Beziehungen erklären zu müssen, eine Auffassung, deren Berücksichtigung
speziell den Kreisen naheliegen könnte, die glauben, alle
spiritistischen Phänomene teils als Manifestationen von Elementarwesen,
teils als dämonologische Manifestationen auffassen zu müssen.

Was ihre Lehren über göttliche Immanenz, Emanation, Reinkarnation
zur progressiven Vervollkommung, Bestimmung des irdischen Schicksales
nach dem Kausalgesetze des Erntens der eigenen Saat betrifft, so stimmen
sie im allgemeinen mit denen des französischen Spiritualismus der Kardec-
richtung überein. Sie bieten aber neuerdings Gelegenheit, auf Aehnlich-
keiten der Lehre dieser Richtung der spiritualistischen Bewegung und
dem neutheosophischen Lehrsystem, das bekanntlich gleichfalls an der
Reinkarnation nach dem kausalen Gesetze festhält, hinzudeuten.

Mag man auch in mancher Hinsicht von den Auffassungen dieser
langjährigen Vertreterin des Spiritismus abweichen, im allgemeinen wird
man wohl in den für eine geistige Weltanschauung eintretenden Kreisen
anerkennen, daß auch diese edeldenkende, ganz für die Propaganda ihrer
Ueberzeugungen lebende Dame nach ihrer Art in ihrem Lebenswerke
gemeinsame große Ideen zu fördern betrebt war, — den Glauben an
ein ewiges geistiges Ursein, die geistige Solidarität aller Wesen, ihre
Entwickeiungsfähigkeit, die Vergeistigung des Menschen und der Welt.

Nachtrag. Der Vorkämpferin einer geistigen Lebensanschauung sind schwere
Lebenskämpfe nicht erspart geblieben. Einer begüterten Familie als Tochter des
Großhändlers und Fabrikbesitzers Temmermann in Brüssel entsprossen, heiratete
sie im 25. Jahre (geboren wurde sie am 18. Oktober 1821) den belgischen Arzt Dr.
Charles Noeggerath aus Bonn. Sie war jedoch nur kurze Zeit verheiratet, ihr Mann
starb, nachdem kurz vorher ihre Eltern ihr Vermögen verloren hatten, sodaß sie
sich mittellos durchkämpfen mußte. Sie widmete sich der Malerei und wurde eine
geschätzte Malerin. Gegen Ende der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts kam sie
nach Paris, wo sie längere Zeit blieb. Nachdem sie durch Augenschwäche verhindert
war, ihren Beruf noch weiter auszuüben, hatte sie das Glück, durch eine
Erbschaft der Lebenssorge enthoben zu werden. Während der Belagerung mußte
sie Paris als Belgierin verlassen, kehrte aber später wieder zurück. Auffallend ist
die nach ihrem Tode verbreitete Behauptung, daß sie selbst nach einer Vorhersagung
ihres Todestages ihre Todesanzeige aufgesetzt habe.


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