Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V., Frei122-Z4
Zentralblatt für Okkultismus: Monatsschrift zur Erforschung der gesamten Geheimwissenschaften
2.1908/9
Seite: 227
(PDF, 140 MB)
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sei nur bemerkt, daß die schnelle Aburteilung als „Trick und Betrug"
oberflächlich, unwissenschaftlich und nicht stichhaltig ist. Der Feuergang
ist so alt, wie die Geschichte der Menschheit und hat sich bei
manchen wilden Völkerschaften bis auf unsere Tage erhalten. Er erscheint
entweder in der Form der sog. Ordalie (d. h. Gottesgericht)
oder als bloße religiöse Zeremonie. Schon in der Bibel begegnen wir
dem Feuergehen: „Daß nicht unter dir gefunden werde, der seinen Sohn
oder seine Tochter durchs Feuer gehen lasse". (5. Mose 18, 10.)
Ein schönes Beispiel finden wir in Sophokles Antigone (500 v. Chr.)

„Zu tragen waren wir bereit den glühenden Stahl

Zum Gange durch das Feuer, zu dem Götterschwur,

Daß keiner es begangen." (265.)

Im Mittelalter findet man die Ordalie des Feuerganges fast in der
ganzen Christenheit. Man ließ den Angeklagten zwischen zwei brennenden
Scheiterhaufen hindurchgehen. Der Unglückliche war sehr oft nur in
ein Hemd gekleidet, das mit Wachs getränkt war. Bekannt ist in dieser
Beziehung das Beispiel des Pietro Aldebrandini, der im Jahre 1063
die Simonie und Häresie des Bischofs von Florenz beweisen wollte,
indem er mit bloßen Füßen zwischen zwei brennenden Scheiterhaufen
durchging. Letztere waren zehn Fuß lang, fünf Fuß breit und vier und
einen halben Fuß hoch. Es war zwischen denselben nur soviel Raum,
daß eine Person mit Mühe durchgehen konnte. Nachdem. Pietro die
Probe abgelegt hatte, ging er ruhig wieder in das Feuer zurück und
holte sein Taschentuch, das er dort verloren hatte. Sein Körper, wie
seine Kleider blieben unverletzt. Man nannte ihn seitdem Petrus igneus.
Er wurde Bischof und später Kardinal von Albano und nach seinem
Tode kanonisiert. Auch von Bonifacius, dem Apostel der Deutschen,
wird berichtet, daß er durch die Feuerprobe die Göttlichkeit seiner Lehre
bewies. Richardis, die Gemahlin Karl des Großen, des Ehebruches mit
Bischof Luitard bezichtigt, wurde in einem mit Wachs und Pech bestrichenen
Gewände in das Feuer geschickt. Die Flammen verzehrten
nur das Kleid und ließen den Körper der Unschuldigen unversehrt.
Emma, die Mutter Eduard des Bekenners, Königs von England, sträflicher
Beziehungen zu dem Bischof Alcuin von Winchester angeklagt,
ging, ihre Unschuld zu beweisen, mit nackten Füßen über glühende
Pflugscharen, ohne irgendwelchen Schaden zu nehmen.

Eine wunderbare Feuerprobe erzählt uns die Geschichte der protestantischen
Camisards (der Hugenotten in den Cevennen). Um die
Kraft seines ihn beschützenden „Geistes" zu beweisen, bestieg Bruder
Clary im August 1703 in Gegenwart einer Versammlung von 600
Menschen den Scheiterhaufen. Er stand aufrecht, die verschlungenen
Hände über sein Haupt haltend. Ein Augenzeuge erzählt, daß alle Umstehenden
sahen, wie Clary von den Flammen eingehüllt wurde. Letzterer
verließ seinen Platz erst, als das Feuer niedergebrannt war. „Ich war
der Erste, welcher Clary umarmte", erzählt ein Vetter Cavadiers, des
berühmten Führers der Camisards, „und konnte weder an seinen Kleidern
noch an seinen Haaren eine Spur der Flammen bemerken."

Die moderne Zivilisation hat mit den Gottesgerichten aufgeräumt,
doch findet sich der Feuergang als Ordalie noch auf Madagaskar, im
Somaliland und bei vielen afrikanischen Stämmen, wie bei den Joloffs
am Senegal, den Waswachels in Benin und anderen.

Als religiöse Zeremonie wurde der Feuergang schon im klassischen
Altertume beobachtet. Berühmt waren die „Hirpis", die Wächter

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