Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V., Frei122-Z4
Zentralblatt für Okkultismus: Monatsschrift zur Erforschung der gesamten Geheimwissenschaften
2.1908/9
Seite: 280
(PDF, 140 MB)
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- 280 —

Gerade über den Steinen erhob sich eine riesige Eiche, schon viele
Jahrhunderte alt, und von der Eiche oder vom Himmel herab erschallte
eine laute feierliche Stimme: „Halt inne, Du Königssohn 1 Die Sterne
schonen ihr Eigentum; Du sollst das Mädchen nicht töten und dennoch
über den Stamm von Oestrich regieren; aber Orna sollst Du als Braut
dem Lieblinge der Sterne geben; erhebe Dich und gehe Deines Wegs!"

Die Stimme schwieg. Der Schrecken hatte Ornas Lebensgeister
für einen Augenblick überwältigt und Siror trug sie in seinen starken
Armen durch den Wald nachhause.

„Ach", sagte Morven, als er am nächsten Tage den ehrgeizigen
Prinzen wiedertraf, „ach, die Sterne haben mir ein Los beschieden, wonach
mein Herz nicht verlangt; denn stets in Zurückgezogenheit lebend
und krüppelhaft an Gestalt, bin ich unempfindlich gegen die Flammen
der Liebe und habe immer, wie Du und Dein Stamm weiß, die Augen
der Weiber gemieden, denn die Mädchen lachten über meinen hinkenden
Schritt und meine düsteren Gesichtszüge. So lernte ich schon frühzeitig
alle Liebesgedanken verbannen. Aber seitdem die Sterne (wie sie Dir
erklärten) mir die Weisung gaben, daß Du, o teuerster Prinz, nur durch
diese Heirat die Federkrone Deines Vaters erlangen könnest, bin ich
bereit, mich in ihren Willen zu fügen."

„Aber", sagte der Prinz, „erst wenn ich König bin kann ich Dir
meine Schwester zur Ehe geben; denn Du weißt, daß mein Vater, der
König, mich zu Staub zermalmen würde, wenn ich von ihm verlangte,
er solle die Blume unseres Stammes dem Sohne des Hirten Oßlah geben."

„Du sprichst Worte der Wahrheit. Gehe heim und fürchte Dich
nicht; aber wenn Du König bist, so muß das Opfer gebracht und Orna
die Meinige werden. Ach! wie kann ich es wagen, meine Augen zu ihr
zu erheben! Aber so verlangen es die furchtbaren Könige der Nacht!
Wer darf ihrem Worte widersprechen?"

„An dem Tage, wo ich König werde, wird Orna die Deine", erwiderte
der Prinz.

Morven wandelte seiner Gewohnheit nach allein weiter und sagte
zu sich selbst: „Der König ist zwar alt, doch kann er noch lange
zwischen mir und meiner Hoffnung leben!" Und er begann darüber
nachzudenken, wie er diese Zeit abkürzen könnte. In solche Gedanken
vertieft, wandelte er achtlos weiter bis die Nacht heranrückte und er
seinen Pfad in dem dichten Wald verloren hatte und den Heimweg nicht
mehr finden konnte. Er legte sich also ruhig unter einen Baum bis
der Morgen dämmerte. Dann kam der Hunger über ihn und er suchte
im Gebüsche nach solchen schlichten Wurzeln, womit er (denn er
kümmerte sich wenig um Nahrung) gewöhnlich die Forderungen der
Natur befriedigte.

Unter bekannteren Kräutern und Wurzeln fand er auch eine rote
Beere von süßem Geschmacke, welche er früher noch nie gesehen.
Morven aß nur wenig davon und kaum hatte er einige Schritte im Walde
weiter getan, als es ihm vor den Augen flimmerte und eine tödliche
Krankheit ihn zu befallen drohte. Mehrere Stunden lang lag er in
Krämpfen auf der Erde und erwartete den Tod; aber die Magerkeit
seines Körpers und seine unveränderliche Mäßigkeit siegten über das
Gift und er genas nach einer großen Beängstigung allmählich wieder.
Mit schwachen Schritten kehrte er an den Ort zurück, wo die Beeren
wuchsen, und nachdem er mehrere derselben gepflückt, verbarg er sie
in seinem Busen und gelangte mit Einbruch der Nacht in die Stadt


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