Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V., Frei122-Z4
Zentralblatt für Okkultismus: Monatsschrift zur Erforschung der gesamten Geheimwissenschaften
2.1908/9
Seite: 520
(PDF, 140 MB)
Bibliographische Information
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— 520 —

einer Maschine, die lange Zeit stillgestanden hat und wieder in Tätigkeit
gesetzt wird. Es sah fast aus, als ob die Worte langsam aus dem Inneren
heraufbefördert werden müßten, und wenn sie endlich hörbar wurden,
klangen sie so dumpf, als kämen sie aus einem tiefen unterirdischen Gewölbe
hervor. Der Mund bewegte sich in eigenartiger Weise hin und
her, bis er endlich sagte:

„Nein, ich bin nicht immer allein. Meine Enkelin kommt, um nach
mir zu sehen. Sie arbeitet im Dorfe ..." Er hob langsam die Hand
und deutete irgendwo hin mit einer Gebärde, als ginge ihn dieses Dorf
und alles darinnen nichts an.

Der seltsame Alte interessierte mich mehr und mehr. Ich sah seine
armen blinden Augen an und fragte mitleidig:

„Seit wann seid Ihr blind? Von Geburt an seid Ihr es doch nicht
gewesen?"

„Nein, erst seit vielleicht dreißig Jahren," gab er achtlos zur Antwort.
„Das muß aber doch ein schrecklicher Schlag für Euch und die
Euren gewesen sein? Euer Weib ist wohl tot?"
„Tot."

„Hattet Ihr auch Kinder?"
„Ja, neun Stück."
„Wo sind sie denn alle?"
„Auch tot."

Ich machte eine Geberde des Schreckens. „Aber das ist ja . . .
Woran starben sie denn alle?"

Er dachte eine Weile nach. Dann sagte er langsam und wie sich
erinnernd: „Es war ein schlechtes Jahr gewesen. Das Korn war nicht
geraten und wir hatten kein Geld und deshalb manchen Tag nichts zu
essen. Da sind sie denn alle langsam gestorben, eins nach dem andern
--— mein Weib und acht Kinder. Ein Sohn blieb übrig."

„Und der ist später auch gestorben?"

„Er fuhr mit seinem Weibe zum Fischfange aus und beide ertranken.
Jetzt lebt nur noch von allen seine Tochter, meine Enkelin."

Er erzählte das alles ganz ruhig und keine Muskel seines Gesichtes
zuckte dabei.

„Aber konntet Ihr denn nicht die Nachbarn um Brot bitten, damit
Eure Kinder nicht verhungerten?" fragte ich ganz entsetzt.

Er hob die Hand mit einer Geberde, als wollte er sagen: „Dumme
Frage 1" Aber er sagte nur:

„Wo sind hier Nachbarn? Und weit und breit hatten alle nichts.
Hier im tiefen Walde muß jeder für sich selbst sorgen. Andere haben
auch gehungert und sind doch am Leben geblieben."

„Aber wäret Ihr denn nicht sehr unglücklich, daß gerade Euch ein
so furchtbares Unglück getroffen?"

Wieder dachte er eine Weile nach.

„Im Anfange — ich glaube, aber ich habe es vergessen. Wer kann
dem Tode verbieten zu kommen? Es hat wohl sein müssen, daß sie alle
starben."

„Und fürchtet Ihr nicht jetzt, daß Eure Enkelin auch sterben könnte
und ihr dann ganz allein seid?"

„Was ist da zu fürchten? Was nicht leben kann, stirbt eben,"
antwortete er kalt.

Ich änderte jetzt das Gespräch. „Sitzt Ihr immer hier so allein den
ganzen Tag vor der Tür?" fragte ich.


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