http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zb_okkultismus1909/0069
— 62 -
Sich zerschellend, sank sie in die Tiefe,
Und am Strand in bangen Klagetönen
Scholl der jungen Antilope Blöken
Uber ihrer untergehenden Mutter.
Der verlassnen Kleinen sich erbarmend
Trat der König zu der nun Verwaisten.
Wie ein ausgesetztes Kindlein nahm er
Sie mit sich in seine Siedlerhütte
Und das Mitleid mit dem Tierchen machte,
Daß ihm die Gedanken von dem Schöpfer
Wiederum auf das Geschaffne glitten.
In der Mutterlosen einen Pflegling
Sah er, der ihm anvertraut, und wie er
Liebreich ihr vom Morgen bis zum Abend
Kos'te, sie behütete und ihr Nahrung
Brachte, ward der gottversenkte Geist ihm
Nach und nach aus seiner frommen Inbrunst
Aufgestört. „Ach! — rief er aus — die arme!
Die verlassene! Herr, von ihrer Herde,
Ohne Eltern, hat sie auf der Erde
Keine Zuflucht, als nur mich. Vertrauend,
Daß ich Vater, Mutter, daß ich Freunde
Und Geschwister ihr ersetzen würde,
Ist in meine Arme sie geflohen;
Sie zu schützen, sorglich sie zu pflegen,
Liegt als heilige Pflicht mir ob, denn gottlos
Isfs, Unglückliche, wenn sie Hilfe suchen,
Fortzustoßen! So, das Tierchen streichelnd,
Sprach er, und zu jeder Tagesstunde,
Wenn er saß und stand, wie bei der Mahlzeit,
Mußt' es bei ihm sein, ja selbst die Nacht durch
Neben seiner Lagerstätte ruhen,
Weil sein Herz es gar so zärtlich liebte.
Wenn er Kusagras und Holz zum Opfer
Holen wollte, Blätter sammelte oder
Beeren pflückte, ging er niemals anders
Als mit seiner jungen Antilope
In den Wald; denn sie allein zu lassen
Wagt' er nicht aus Furcht, daß Hunde, Wölfe
Sie beschädigen könnten. Stand die Kleine
Einen Augenblick dann auf dem Wege
Still, so dachf er gleich: „sie wird zu müde,"
Hob auf seine Schulter sie und drückte
Sie an seine Brust mit sanftem Schmeicheln
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zb_okkultismus1909/0069