Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V., Frei122-Z4
Zentralblatt für Okkultismus: Monatsschrift zur Erforschung der gesamten Geheimwissenschaften
4.1910/11
Seite: 346
(PDF, 173 MB)
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Behalte, was Du hast! Du hast es nicht vom Osten — was geht
es uns an, woher Du geschöpft hast! Im übrigen laß Dir genügen,
wenn wir nur als Weggenossen manchmal über die steilen Pfade der
Weisheit sprechen."

Ibrahim kehrte sich hier plötzlich gegen mich: „Auch Du bist der
kritisch beobachtende Abendländer; auch Du bist ein Unreiner, ein Ungläubiger
; auch Du bist bisexuell, und was weiß ich noch! — Doch
Gott zerstöre mein Haus, wenn ich je vergesse, daß Du die Hilfe und
der Rat meiner Mutter warst in schwerer Stunde, daß Du unter meinem
Dach geschlafen hast (d. h. mein Gastfreund warst), daß der Meister,
der Weh, Dich schätzt, eigentlich anerkennt. — Und wenn ich nicht
vergesse, so vergißt der Hüter des Paradieses noch weniger, wenn einst
Deine wandernde, irrende Seele dort Einlaß begehrt! — Inschallah —
Gott ist groß."

Vom nahen Minaret rief der Muezzin zum dritten Gebet. Ibrahim
Effendi wandte sich von mir weg nach dem Osten und betete seine Fati-
hah, das Anfangsgebet des AI-Koran:

„Im Namen Gottes, des Allbarmherzigen, des Gnädigen: Lob und
Preis sei Gott, dem Herrscher des Weltalls, dem Allerbarmer, der da
regiert am Tage des Glaubensgerichtes."

„Dir, Herr, wollen wir dienen. Und zu Dir wollen wir flehen, auf
daß Du uns führest den richtigen Pfad, den Weg derer, die Deiner
liebenden Gnade sich erfreuen, und nicht den Weg derer, über welche
Du zürnst, noch den Weg der Irrenden. Amen, o Herr der Engel, der
Geister (Dschins) und der Menschen. Amen."

In tiefe Gedanken versunken starrte ich auf den betenden Orientalen
, in dessen Seele sich moslemitischer Glaubensfanatismus in seltener
Weise mit indisch-tibetanischer Weisheit gepaart hatte. Gott hatte mir
wieder einmal die gähnende Kluft gezeigt zwischen Morgen- und Abendland
— zwischen Indogermanen und Mongolen, zwischen dem Jünger
Mohammeds und dem Nachfolger Christi.

Ich wusch meine Hände und setzte mich zum Essen, welches mir
von einem kurdischen Soldaten vorgesetzt wurde. Ibrahim Effendi aß
heute mit den Männern des Hauses im Selamlik. *) Ibrahim Effendi
empfahl sich schweigsam und würdig wie immer. Ich zog mich bald
nach dem Essen in eines der oberen unbewohnten Terrassenzimmer
zurück. Dort warf ich mich auf den Divan, grübelnd und meditierend.
Das wenig befriedigende Resultat meines angestrengten Nachdenkens
war: „Die Eebensrätsel sind zugleid) die UJelträtsel Und die Seele des Orients
ist wie die Seele des Leibes — eine geheimnisvolle Spbinx, eine ewig verschleierte
Tsis!"

*) Da ich nur wenig Kurdisch sprach, hatte ich mir eine kleine Mahlzeit für
mich selbst bestellt.


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