Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V., Frei122-Z4
Zentralblatt für Okkultismus: Monatsschrift zur Erforschung der gesamten Geheimwissenschaften
5.1911/12
Seite: 136
(PDF, 169 MB)
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auch wenn er nicht sichtbar wird. Er verfolgt Brutus und Cassius, als
sie wie Verrückte zu dem Tore von Rom hinausreiten. Ueber allen
weiteren Geschehnissen schwebt der düstere Geist. Auf dem Schlachtfelde
wird seine Anwesenheit durch üble Zeichen kund, durch die Raben,
Krähen und Geier, die über das Heer fliegen und die Cassius ahnungsvoll
deutet. Er stürzt sich ins eigene Schwert, als er alles verloren sieht.
Beim Anblick der Leichen von Cassius und Titinius ruft Brutus von der
allmächtigen Gegenwart des rächenden Geistes durchschauert aus:

»O Julius Cäsar, Du bist mächtig jetzt,

Dein Geist geht um und richtet unsere Schwerter

Gegen unsere eigenen Eingeweide.«

Zu Philippi zeigt sich Cäsars Geist zum zweiten Mal, seiner Prophezeiung
gemäß: »Bei Philippi sehen wir uns wieder.« Brutus weiß, daß
seine Stunde gekommen ist. Sein »Genius« treibt ihn zur freiwilligen
Sühne und er folgt dem Beispiel* des Cassius.

Man sieht ganz klar, daß Shakespeare unter dem »Genius« einen
im menschlichen Wesen deutlich unterscheidbaren Teil versteht, etwa die
Seele, das Unsterbliche, jene übermenschliche Potenz, die aus innerer
Notwendigkeit die Katastrophe herbeiführt und in ungewöhnlichen Fällen
sich ungewöhnlicher Mittel bedient. Wir haben diese unbestechliche
Macht der Seele, die die mystische Himmelswage in den Händen hält,
nicht nur in den flüchtigen Botschaften der Träume und Ahnungen kennen
gelernt, sondern wir haben sie in den erschütternden Tragödien am Werk
gesehen, in »Richard III.«, in »Macbeth«, in »Julius Cäsar«, und werden
sie in »Hamlet« sehen.

Es ist zu beachten, daß der Dichter zwischen den Worten Genius,
Engel, Dämon oder Geist einen wahrnehmbaren Unterschied macht, der
der Annahme eines guten und bösen Prinzips entspricht, den Einflüssen
der Asen als Lichtgottheiten und der finsteren Gewalten des Muspilheims,
denen der Mensch zugleich unterworfen ist und die zu den Unterscheidungen
von Engel und Teufel, von weißer und schwarzer Magie, von überethischen
und unterethischen Kräften, von Seele und fleischlichen Begierden
oder von reiner und böser Lust führen. Shakespeare huldigt
demgemäß einer metaphysischen Anschauung von der Natur, was keinesfalls
ausschließt, daß er im wesentlichen ihre Gesetze aufs genaueste
kannte. Er sah zwei Welten: die physische Welt der Tatsachen und
jene andere höhere Welt des Mysteriums, die in seinen Werken zuweilen
ein wenig den Schleier lüftet und immer geisterhaft zugegen ist, wie das
Mondlicht am hellen Tag, auch wenn sie nicht in die Erscheinung tritt.
Der Dichter schöpfte aus uralten heiligen Quellen der Weisheit, die für
die Heutigen vorderhand verschüttet sind; seine reale Kenntnis von der
Natur und den Menschen-Dingen ist keineswegs geringer als sie heute
ist. Ein Unterschied liegt nur darin, daß wir andere nüchterne und be-


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