Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V., Frei122-Z4
Zentralblatt für Okkultismus: Monatsschrift zur Erforschung der gesamten Geheimwissenschaften
5.1911/12
Seite: 411
(PDF, 169 MB)
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—. 411 —

sein Selbstmord nicht geradezu die Krone seiner Verbrechen? Gemach!
Dieser Bankier, der durch eine unsinnige Lebensweise oder wahnwitzige
Spekulation zum Selbstmörder wird, den haben seine antisozialen Handlungen
bereits zu einem psychisch entarteten Subjekt gestempelt, ob er
nun Selbstmord übt oder nicht. Er bildet schon zu Lebzeiten neben den
normalen, ehrlichen Berufsgenossen eine pathologische Ausnahme, und
sein Selbstmord ist nicht so sehr die Krone seiner Verbrechen als vielmehr
die Krone seines selbstvernichtenden Lebens und Treibens. Jeder,
der antisozial denkt und handelt, hat schon das Kainsmal einer psychischen
Entartung an sich, und wenn er, dem andere Existenzen nichts waren,
zur Vernichtung der eigenen Person schreitet, soll uns das wundern?

Und ist es nicht mit dem »Verbrecher« so? In jedem Falle
von Selbstmord läßt sich der Beweis einer chronischen
oder akuten Geisteserkrankung oder einer konstitutionellen
geistigen Entartung oder einer akuten psychischen
Erschöpfung erbringen. Und wer kann mit Sicherheit
sagen, daß er vor einer solchen Erkrankung oder Entartung oder
Erschöpfung geschützt sei? Vor kurzem verschied in München
durch Selbstmord die bekannte Theosophin Helene von Schewitsch,
die ihrem Gatten in den Tod folgte. Sie schrieb seinerzeit in
ihrem Buche »Wie ich mein Selbst fand«: »Der Selbstmord gilt
der theosophischen Geheimlehre als eine der schwersten Sünden«;
aber sie hat wohlweislich hinzugefügt, wie in einer Ahnung ihres eigenen
Falles: »Vorkommen kann es auch, daß bereits Hochentwickelte einen
derartigen Gewaltakt begehen — denn wer strauchelt nicht auf dem
steilen Pfad zur Höhe?« Hätte sie naturwissenschaftlich gedacht und nicht
bloß ethisch, so hätte sie sagen müssen: »Denn wer weiß, ob er geistig
gesund und rüstig bleibt?«

Das gesunde Volksempfinden sieht in einem Selbstmorde etwas
Unheimliches und Bemitleidenswertes, der Pharisäer und Konfessionsmoralist
Schuld und Verbrechen, der naturwissenschaftlich denkende
und gebildete Mensch geistige Krankheit und Entartung. Und
es gilt wohl für jeden Selbstmörder das schöne Wort der großen Französin
: »Alles verstehen heißt alles verzeihen«. Mit diesen Ausführungen
ist nicht eine Apotheose des Selbstmordes gegeben, er wird ausdrücklichst
als eine pathologische Ausnahmserscheinung gekennzeichnet,
jedoch unter Beiseitelassung aller Vorurteile in jene Reihe sozialer Geschehnisse
eingeteilt, in die er gehört. Die Fackel der Wissenschaft
leuchtet auch in die dunklen Winkel der Friedhöfe, wo die irdischen
Ueberreste der Selbstmörder liegen, sie verscheucht den mittelalterlichen
Popanz, der davor steht, und lehrt uns menschlich denken.


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