Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V., Frei122-Z4
Zentralblatt für Okkultismus: Monatsschrift zur Erforschung der gesamten Geheimwissenschaften
5.1911/12
Seite: 478
(PDF, 169 MB)
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Auskunftsmittels eine Theorie, wonach sich auch die Seele zu einer
Fluid-Materie reduziere und mithin ebenfalls zur Welt der Materie gehöre.
Mit dieser Schlußfolgerung will der Gelehrte seinen inneren Zwiespalt
decken; er scheut vor den letzten Konsequenzen seiner neuen Erkenntnisse
zurück, die uns möglicherweise ein heroisches Schicksal und gleichzeitig
einen neuen Wendepunkt in der Geschichte des menschlichen
Denkens gezeigt hätten. Aber er hat nicht den Mut zu seinen Ueber-
zeugungen, sondern läßt die schwerwiegende Frage offen, indem er
wünscht, daß die Theorie aus der Summe der Tatsachen von selbst im
Geiste des Lesers entstehen möge. Um aber äußerlich eine Versöhnung
mit seinem früheren, bereits entkräfteten Standpunkt herbeizuführen,
macht er dem Materialismus Zugeständnisse, ganz verstohlen und nur
nebenher; konstruiert aus Hypothesen und Fiktionen einen Scheinbeweis
als Notgerüst, um zu zeigen, daß die Grundpfeiler des Monismus noch
nicht gestürzt seien.

Diese, obschon ohne innere Beweiskraft versuchte Materialisierung
metaphysischer Wahrheiten birgt die eigentliche Tragik dieses Naturwissenschaftlers
in sich, der ein typischer Fall ist. Der Substanzbegriff
seiner materialistischen Weltanschauung ist für ihn die Kugel am Fuß.
Was der divinatorische Genius der Menschheit seit dem Urbeginn des
Denkens erkannt und symbolisch ergriffen hat, das planvolle Ineinandergreifen
sinnlicher und übersinnlicher Vorgänge, die metaphysischen Weltzusammenhänge
, reduziert sich, in den modernen naturwissenschaftlichen
Jargon übertragen, zu dem bloßen Bruchstück der Materie, die der
wahrheitsuchenden Seele Stein statt Brotes gibt. Denn auch die Wahrheit
ist metaphysisch. Die alte Magie, von der modernen Naturwissenschaft
abgelöst, hielt noch beides in Händen; Reales und Mystisches,
die Naturerkenntnis und Gotterkenntnis, ein gewaltiges, lückenloses
Gebäude, darin Wissen und Glauben, Weltliches und Göttliches organisch
verwachsen waren. Was hindert uns, das große, geheimnisvolle Wort
auszusprechen, das als das große Mysterium hinter den sinnlich erkennbaren
Tatsachen steht? Was hindert uns wissenschaftlich und zugleich
religiös zu sein? Was zwingt uns, Gott abzusetzen, vor dem sich bewußt
oder unbewußt jede Seele insgeheim ehrfurchtsvoll beugt, und an seine
Stelle einen wissenschaftlichen Begriff zu setzen, der doch nur mit
anderen, schwächeren, unheiligen Worten, einem Surrogat gleichsam,
das Mysterium auszudrücken versucht? Ist es die Furcht, das wissenschaftliche
Ansehen zu verlieren oder vor den Fachgenossen lächerlich
zu erscheinen? Die Kluft zwischen Wissen und Glauben, zwischen
Naturforschung und Religiosität ist künstlich; sie besteht nicht, wenn
wir nicht wollen. Heute allerdings klafft der Riß, doch ist es vielmehr
der Widerstreit der Parteien, der Dogmen und der politischen Gegensätze
, die sie unter dem heiligen Deckmantel bekämpfen. Auch darin
erweist sich der Forscher als Kind seiner Zeit.


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