Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V., Frei122-Z4
Zentralblatt für Okkultismus: Monatsschrift zur Erforschung der gesamten Geheimwissenschaften
5.1911/12
Seite: 502
(PDF, 169 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zb_okkultismus1911/0508
— 502 —

ohne biographische Übergänge ein Verständnis der Lehren und Werke nicht hätte
hergestellt werden können. Die Evangelisten sind somit gar keine Biographen Jesu,
sondern Schüler, welche die Lehrsätze des Meisters verzeichnen und hierzu gewissermaßen
persönliche Randbemerkungen an ihre Hefte machten: „Das hat er da und da
gesagt, das hat er bei der und der Gelegenheit gelehrt" u. s. w. Man sehe sich einmal
die Evangelien darauf an und man wird mir zustimmen. Mit der Lückentheorie
kann also die Existenz Jesu in keinem Punkte verwischt werden. Die Tatsache, daß
diese Lücken vorhanden sind, ergibt noch nicht die Beweise, daß sie nie ausgefüllt
werden. Erst in diesen Tagen habe ich hierfür im Buchhandel eine neue Fährte veröffentlicht
, welche den Titel trägt: „Ein Jugendfreund Jesu". In diesem Buche,
dessen Urschrift auf einem Botenbrief basiert, den der ägyptische Tempelarzt Benan
zur Zeit Domitians an einen Griechen in Rhodos geschrieben hat, werden zum erstenmal
Hinweise gebracht in bezug auf die Jugend Jesu, die einen Zweifel an den historischen
Begleiterscheinungen ausschließen. Schon durch diese Materialien, auf die ich
in einem besonderen Aufsatz näher einzugehen gedenke, läßt sich der Beweis erbringen
, daß die Lückentheorie nicht aufrecht erhalten werden kann, d. h. daß diese
Lücken nur so lange klaffen werden, bis es der Forschung gelingt, sie succesive durch
außerevangelischen Nachrichtenstoff auszufüllen. Daß dieser Stoff heute noch existiert,
erhellt blitzartig der Benanbrief mit seinen tausendfältigen Beziehungen zu dem Kultur
- und Geistesleben jener Zeit. Und dieses Licht ist um so wertvoller, weil es von
der Hand eines Mannes gehalten wird, der nicht nur ein Freund und Jugendgenosse
Jesu war, sondern zugleich Heide, der als solcher die seiner Mitwelt noch verborgene
Bedeutung des Heilands als Religionsstifter gar nicht erkannt und begriffen hat, sondern
über dessen Person und Leben nur als über einen geistig hervorragenden, in
seiner Art teilweise unbegreiflichen Menschen berichtet. Daneben bietet der Briefschreiber
wichtige Aufschlüsse über das Leben im kaiserlichen Rom, die gesellschaftlichen
Zustände unter den ersten Caesaren und das Gähren in allen Teilen des römischen
Reiches. Diese Aufschlüsse geben ein lückenlos abgerundetes Bild jener Zeit,
das bis heute ziemlich verworren vor den Blicken der Nachwelt gestanden hatte. Erst
wenn man die Schilderungen dieses Zeitgenossen eines Tiberius, Caligula und Nero
gelesen hat, begreift man, daß eine Lehre wie die des Nazareners gleich einem Sturm
die Länder durchbrausen und die schwüle Luft klären mußte, welche so v*ele Jahrtausende
die Gemüter sklavisch geknechteter Völker bedrückt hatte. Seinen dramatischen
Höhepunkt erreicht Benans Bericht in der Schilderung der beiden furchtbaren
Katastrophen der Zerstörung von Jerusalem und des Untergangs von Pompeji, deren
Augenzeuge Benan gewesen ist. Dieser Brief, dessen Urschrift, wie ich an anderer
Stelle nachweise, griechisch war, erfuhr später im 5. Jahrhundert eine koptisch-christliche
Überarbeitung, die aber derart ausfiel, daß es der wissenschaftlichen Kritik ein
Leichtes ist, noch heute den alten heidnischen Kern aus der christlichen Schale
zu lösen und damit den Nachweis zu erbringen, daß hier in nuce ein zeitgenössisches
Zeugnis über Jesum vorliegt, das alle bisherigen biogenetischen Theorien eines Strauß,
Renan und anderer über den Haufen wirft. Die Wahrheit schlummert wohl, aber sie
stirbt nicht. In Herkulaneum hat man im Jahre 1753 nicht weniger als 1800 um Stäbe
gewickelte Rollen aus Papyrus, mit griechischen Schriftzeichen beschrieben, gefunden.
Sie enthalten die Werke antiker Philosophen, die gänzlich verschollen waren. Wer
will behaupten, daß wir nicht eines Tages ebenso wie in Herkulaneum auf ein verschüttetes
Archiv stoßen, dessen Schätze mit einem Wurf sämtliche Thesen der
Christusleugner für immer zersplittern? Hat man doch in den Schutthügeln von
Memphis einen alten Papyrus gefunden, der über Moses und sein Lebensschicksal
vor dem Exodus ausführlich berichtet, nachdem Jahrhunderte hindurch Moses nur
noch als Sagengestalt durch die historische Kritik gewandelt war! Die Begeisterung
der Zeitgenossen Jesu für dessen Werk spricht für seine Person und reale Existenz
mehr als die ausführlichste Biographie. Für ein Phantom hätten sie sich nicht zu


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zb_okkultismus1911/0508