http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zb_okkultismus1913/0136
eines Verräters, z. B. der Schrift des Obersten Redl, werde ich leicht im
voraus anzeigen können. Ich habe seinerzeit aus der Schrift eines Einbrechers
gesagt, daß er eine besondere Vorliebe für Laubsägearbeiten
habe, und die Hausdurchsuchung bestätigte dies. Wenn so spezialisierte
und erworbene Gewohnheiten in der Schrift zum Ausdruck kommen,
um wieviel mehr die Eigenschaften eines Menschen, der ein Doppelleben
führt, der in steter Furcht vor Entlarvung lebt, der jederzeit darauf bedacht
ist, sich zu decken, der frech und entschlossen ist usw. Durch Uebung
kann man die Rekonstruktion der Schrift sehr weit treiben. Eine bekannte
Wiener Graphologin könnte erzählen, daß ich ihr einst nach einem Vortrage
, den sie hielt, ihre eigene Unterschrift vorschrieb, wie ich sie mir
aus der Beobachtung ihrer Gesten konstruieren konnte«.
Wir wollen hier nur auf die außerordentliche Bedeutung der Anwendung
der Charaktergraphologie für das Spionagewesen aufmerksam
machen. Ein Ressort, das selbst ein Schutzmittel für ungeheuer große
Interessen darstellt und daher kostspielig arbeitet, darf selbst alles vornehmen
, um sich selber zu schützen. Vor allem müssen jene Personen,
denen die Handhabung so heikler Dinge anvertraut wird, nicht nur auf
ihre wissenschaftlichen Fähigkeiten, sondern auch auf ihren Charakter
hin geprüft werden. Dies ist so wenig entehrend, wie etwa die Einholung
der Nachricht, ob der Mann schuldenfrei sei, die ja in solchen Fällen
üblich ist. Ferner würde es sich empfehlen, alle Schriftstücke der bewußten
Art graphologisch nachzuprüfen. Gerade bei der Niederschrift
von Dingen, in denen große Interessen niedergelegt erscheinen, kommen
die Gedanken respektive Verstellungen des Schreibers scharf zum Ausdruck
. Aus der Schrift eines Spions wird man wohl auch ersehen können,
ob er nicht etwa ein Gegenspion ist. Eine vernünftige Anregung wäre
auch die, die Meldezettel aller verdächtigen Personen graphologisch zu
untersuchen. Die Depeschen militärischen Inhalts oder Chiffredepeschen
verdächtigen Charakters könnten durch Prüfung die Gedanken und Absichten
des Schreibers erkennen lassen. Die Graphologie kann die Verbrechen
im Keime aufspüren und kann den Täter überführen. In der
Schrift verrät sich alles, selbst das, was der Schreiber selbst nicht weiß.
Nun denke man sich die praktischen Kenntnisse eines Schermann
und Kallenberg kombiniert. Man wird dann zugeben müssen, daß den
Regierungen im Kampfe gegen die so gefährlichen Spione im eigenen
Lager neue und große Hilfsmittel mit einem Schlage zu Gebote stünden,
wenn sie diese gebrauchen wollten. Ob sich die Regierungen aber dazu
entschließen werden, ist fraglich und hängt ganz von der Meinung des
betreffenden Ressortchefs über den Wert dieser Hilfsmittel ab. Aber
vielleicht wird die Polizei, oder eher noch irgend ein Institut von Privatdetektiven
, damit beginnen, auf solche Weise den Charakter von verdächtigen
Personen zu durchleuchten. Wenn nicht bei uns, so sicher bald
in England und in Amerika.
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