http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zb_okkultismus1914/0374
— 470 —
gangenheit nimmt.44 Es ist nicht, was die Seele im Wachen angelegentlich
beschäftigt, auch im Traume das Vorherrschende, und ebensowenig
sind es die Personen, an welche das Wachbewußtsein am meisten
denkt, jene, die im Traum oft erscheinen. Das von uns geliebte
Menschenkind erscheint selten im Traume, meistens sind es uns gleichgültige
Menschen, von denen wir träumen.
Erinnerungen aus dem wachbewußten Leben sind wohl die Quelle
eines großen Teils der Träume. Ein anderer Teil ist erklärbar durch
innere und äußere Reize, welche während des Schlafes auf
den Organismus ausgeübt werden. Die Rolle objektiver Sinneserregungen
während des Schlafes als Traum-Erreger, sagt Dr. Freud, steht
unbestritten fest. Auch die inneren (subjektiven) Erregungen in den
Sinnesorganen nehmen Teil. Wundt schreibt hierüber: „Eine
wesentliche Rolle spielen ferner, wie ich glaube, bei den Traumillusionen
jene subjektiven Gesichts- und Gehörsempfindungen, die uns aus
dem wachen Zustand als Lichtchaos des dunklen Gesichtsfeldes, als
Ohrenklingen, Ohrensausen bekannt sind, unter ihnen namentlich die
subjektiven Netzhauterregungen.44 ....
Endlich spielen krankhafte Zustände als Traumerreger mit, was
schon Aristoteles erkannte. Verdauungsstörungen, sexuelle Erregungen
u. dgl. sind oftmals Traumerzeuger. Diese Reizträume sind in einem
merkwürdigen Buche beschrieben: „Das Leben des Traumes"
von Scherner (Berlin, 1891). Allen denkbaren Reizungen schreibt
der Verfasser besondere Träume zu, so z. B. Durstreiztraum, Harnreiz
-Traum, Traum bei Schnupfen und Husten u. s, f. Es würde den
Rahmen dieser Studie überschreiten, näher darauf einzugehen. Die den
einzelnen Träumen beigegebenen Analysen sind durchweg recht überraschend
; ich finde sie so willkürlich wie des Artemidoros Deutungen.
Hier nur ein kurzes Beispiel:
„Traum bei Fliegenstich. Ich lag im Nachmittagsschlaf auf dem
Sofa, den unteren Fuß von dem zurückgeschlagenen Strumpf etwas
entblößt — da stach mich eine Fliege, — und mir träumte: Ich sehe
Enten auf einem Teiche schwimmen, die nach einem vor ihnen flatternden
Schmetterling schnappen, ihn auch haschen und verzehren. Das
wesentliche Moment der Symbolik dabei ist das Schnappen, d. i. die
bedräuende Bewegung des Schnabels für den stechenden Saugrüssel
der Fliege.44 — Viele werden mit mir eine solche Symbolik an den
Haaren herbeigezogen finden.
Wie dem aber auch sein mag, all' die genannten Quellen der
Träume genügen nicht, um alles zu erklären. Dr. Freud sagt:
„Wenn das Wachinteresse nebst den inneren und äußeren Schläfreizen
zur Deckung der Traumätiologie ausreichte, so müßten wir imstande
sein, von der Herkunft aller Elemente eines Traumes befrie-
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zb_okkultismus1914/0374