http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zb_okkultismus1918/0369
Zum Schlüsse sei hier noch einer Erscheinung gedacht, die schon mancher
Psychiater als Geisteskrankheit deutete, die auch mancher Historiker und Kritiker
falsch auslegte und als mittelalterlichen Aberglauben verschrie. Es handelt
sich um die Berichte von Heiligenerscheinungen, die mit intensivstem
Glücksgefühl verbunden sind. Die Erscheinungen sind in diesem Zusammenhange
ein Irrtum, aber doch keine Halluzination. In dem Äugenblick nämlich,
in dem man mit einem letzten Äkte geradezu übermenschlicher Willenskraft
und nach schlaflosen, höchst qualvollen Tagen und Nächten verzieh, jeglichem
Haß und Groll gegen den Übeltäter entsagte, bemächtigt sich unser ein außerordentlich
intensives Glücksgefühl. Dann erlebt man in sich die edelsten,
am höchsten verehrten Menschen der Vorzeit, soweit man sie kennt. Es handelt
sich also, wenn man von Heiligenerscheinungen spricht, um die Projektion
und Personifizierung intensiver Glücksgefühle nach außen. Die beliebte Deutung
, die Mönche hätten bei ihren „Verzückungen" und Visionen verkappterotische
Erlebnisse gehabt, ist vollkommen verfehlt.
Stehen wir erst auf einer gewissen Stufe der Läuterung, dann werden wir
mit Befremden feststellen, wie selten man in Wahrheit Grund und Ursache
hat, zu verzeihen. Der böse Widersacher tat in der Regel gar nichts anderes,
als was wir auch taten oder doch tun wollten, und zwar im Gefühle des eigenen
Rechtes, mit dem besten Gewissen. Weil er aber erfolgreicher war, darum
schrien wir Zeter und Mordio. Wir kreiden ihm dasselbe als Schändlichkeit
an, was wir selbst, wenn wir es tun, moralisch finden. Hier haben wir keine
Gelegenheit zur Erwerbung des Daimonions, weil wir mit ungleichem Maße die
eigenen und die fremden Handlungen gemessen haben, den Splitter im gegnerischen
, aber nicht den Balken im eigenen Äuge sahen. Und doch ist es
bereits eine Etappe auf dem rechten Wege, wenn man es über sich gewinnt,
diese Tatsache zuzugeben.
Viel Merkwürdiges sagte ich hier, gab manchen Änlaß zu Kritik, Zweifel
und Spott. Wie viele Jahrhunderte bezweifelte man doch das Vorhandensein
von Äntiooden! Endlich reisten Leute auf die südliche Halbkugel und mußten
sie einwandfrei feststellen. So fordere ich den Zweifler und Leugner hiermit
auch auf, ein Gleiches zu tun, indem er in das dem Egoismus entgegengesetzte
Land der Seele reist. Den Weg wies Christus schon. Dann wird er, nach
vielen Mühen dort angelangt, alle meine Worte bestätigen müssen. Solange
er aber hübsch daheim bleibt, im allzuirdischen Diesseits, sei ihm als Richtschnur
Goethes Wort empfohlen: Das Erforschliche zu erforschen; das Un-
erforschliche aber zu verehren.
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