Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V., Frei122-Z4
Zentralblatt für Okkultismus: Monatsschrift zur Erforschung der gesamten Geheimwissenschaften
17.1923/24
Seite: 88
(PDF, 133 MB)
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— 88 —

„Und dennoch", fuhr Cherbonneau fort, lese ich in Ihren matten
'Augen, in der mutlosen Haltung Ihres Körpers und ,dem tonlosen Klange
Ihrer Stimme den Titel eines Shakespeare'sehen Dramas so klar, als ob
er mit goldenen Lettern auf den Rücken eines [Maroquineinbandes gedruckt
wäre."

„Und wie heißt das Drama, das ich übersetze, ohne es wissen?"
fragte Octave, dessen Neugier unwillkürlich erwachte.

„Love's labour's lost", erwiderte der Doktor.

„Das will sagen, wenn ich nicht irre: „Verlorne Liebesmüh'"?"

„Ganz recht."

Octave antwortete nicht, aber eine leichte Böte bedeckte seiner
Wangen; er ergriff, um seine Fassung nicht zu verlieren, die Troddel
seiner Rockschnur und spielte nachdenklich mit ihr. Der Doktor hatte ein
Bein über das andere gelegt, was ungefähr den Eindruck machte, 'als
wenn Knochen kreuzweise auf Grabsteinen eingraviert sind. Seinen Fuß
erfaßte er nach orientalischer Sitte mit der Hand. Seine blauen Augen
hefteten sich auf die des jungen Mannes und befragten ihn mit einem
milden, befehlenden Blicke.

„Nun", sagte Dr. Cherbonneau, „seien Sie ganz offen gegen mich. Ich
bin der Arzt der Seelen, Sie sind mein Patient, und wie der katholische
Priester von seinem Beichtkinde, so fordere ich von Ihnen eine vollständige
Beichte."

„Wozu? Gesetzt, Sie hätten richtig geraten, meine Schmerlen Ihnen
erzählen, würde sie nicht mildern. Mein Kummer ist nicht schwatzhaft;
keine menschliche Macht, selbst die Ihrige nicht, vermöchte mich zu
heilen."

„Vielleicht doch!" sagte der Doktor, indem er sich noch viereckiger
als zuvor im Lehnsessel zurecht rückte, wie einer, der sich «auf eine vertrauliche
Eröffnung von einer gewissen Länge vorbereitet

„Ich will nicht", fuhr Octave fort, „daß Sie mich eines Jdndiälehen
Eigensinns beschuldigen; schwiege ich und stürzte ins Verderben, so
könnten Sie dann Ihre Hände in Unschuld waschen. Aber da Sie es
wollen, so werde ich Ihnen meine Geschichte erzählen. Sie haben das
«Wesentlichste erraten. Erwarten Sie nichts Absonderliches. Es ist eine
sehr einfache, sehr gewöhnliche, sehr alte Geschichte; ich schäme
mich fast, dergleichen Gewöhnliches einem Manne zu erzählen, der in den
fabelreichsten und wunderbarsten Ländern gelebt hat."

„Haben Sie keine Furcht! Nur noch das Gewöhnliche ist für mich
das Ungewöhnliche," sagte der Doktor, mit einem Lächeln.
„Nun wohl, Doktor, ich sterbe vor Liebe."

(Fortsetzung folgt.)


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