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Die Furcht, daß das Kind ebenso mißgestaltet zur Welt kommen
würde, war der Grund, daß der Gedanke an dieses „Versehen" imme*
und immer wieder aus dem Schubfach des Bewußtseins hervorgeholt
wurde. Der Geist war nur eingestellt auf diese Idee, und so hat die
Idee, einmal wachgerufen, ihre Verwirklichung nach dem oben erwähnten
Gesetz der unterbewußten Zielstrebigkeit erreicht. Paracelsus sagt: „Die
Imagination einer schwangeren Frau ist so groß, daß sie in der Schöpfung
den Samen aus der Frucht in ihren Leib in mancherlei Weg trans-«
mutieren mag, denn ihre inwendige Astra gehen so stark und kräftig
auf ihre Frucht, daß sie eine Impression und Influenz geben . . . Furcht,
Schrecken und Gelüst ist die fürnembste Ursache, daraus Imagination
entsteht."
Wir erkennen demnach eine mögliche Beeinflussung des Geistigen.
(Psychischen) durch das Geistige und damit in der Folge des Körperlichen
durch das Geistige.
Der erwähnte Fall neigte in der Auswirkung der Beeinflussung
de* Geistigen (und das Geistige beherrscht wieder das Körperliche)
durch das Geistige nach einer negativen Seite. Ich erwähnte einen
solchen Fall, da er anschaulicher und beweiskräftiger wirkt. Wir erhalten
nun eine Ahnung, in welch' starkem Maße das Vor Stellungsleben,
das sich in Traum, Einbildung, Phantasie zeigt, Einfluß auf das geistige und
körperliche Befinden und Verhalten des Menschen hat. Die Mutter Wolf-
gang Amadeus Mozarts lebte vor der Geburt des Kindes nur in dem
Gedanken, daß dieses Kind einst ein Stern am Himmel der Musik sein
werde. Daß sie nicht irrte, daß ihr „Wahn" sich verwirklichte in
dem Kinde, können wir in jeder Musikgeschichte nachlesen. Nietzsche
sagt; „In jeder Vernunft ist etwas Wahnsinn, aber in jedem Waha-i
sinn ist etwas Vernunft."
Sollten wir nicht nach diesen Erkenntnissen an die Möglichkeitglauben
können, den Gottmenschen bewußt zu züchten und vor uns
zu sehen?
Die Bedeutung des Traumes wird bisher fast immer unterschätzt.
Und doch sagte einst Kant, daß er vermute, daß die Vorstellungen der
Schlafenden klarer und ausgebreiteter sein mögen als selbst die klarsten
der Wachen. Wir befinden uns überhaupt in sehr guter Gesellschaft,
wenn wir in den Kreis derer eintreten, die dem Traum in ihrem Leben
großen Einfluß und große Bedeutung zuschrieben. In Eckermanns „Gesprächen
mit Goethe" finden wir folgende Stelle: „Meine Gefühle kamen
plötzlich über mich und wollten augenblicklich gemacht sein, so daß ich
auf der Stelle instinktivmäßig und traumartig niederzuschreiben mich
getrieben fühlte." Lesen wir den Schluß des „Sommernachtstraum" von
Shakespeare: „Ihr habt geschaut in Nachtgesichten Eures eignen Hirnes
Dichten." 20*
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