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Beitrüge zur Würdigung des elsiiss. Humanisten Adelphus Muling 177
Anlage nicht frei von offenkundigen Übertreibungen, die dem
moralisirendon Verfasser eben von selbst in die Feder flössen.
Ich lasse die Dichtung wörtlich folgen:
Von der Ee. Von dem Elichen stat ein schöne red
uff das vorgond lesen frow venissin, gut und nützlich
zu hören.
Vor zeiten, als die tugent noch
Uff erden hin und wieder zoch
Und wonet in der menschen gmüt
Gut sitten, schäm, er und gut,
Gut truw und gloub on argenlist
Und man von keiner schalckheit wißt,
Da hielt man gar für hoch und groß
Eine glitte Ee und Eegenoß,
Da eins das ander hertzlich liebt,
Weder mit wort noch werck betriebt,
Keins andern man noch weibs begert,
Ihr liebe durch kein fal abkert,
Und allzeit gern beim andern was,
Saß, gieng, stund, lag, schlieff, tranck und aß,
Wacht, lacht, ret, sang, weint und truret,
Kein müe noch arbeit sich beduret,
Kein freyd eins on das ander het,
Zusammen begerten fril und spet,
Und das uß rechter gunst und güt
Und nicht umb solt, gut oder myet1,
Ir yetweders, wa es sin solt,
Gern für das ander sterben wolt,
Oder zum minsten noch sehn tod
Sich hielten von andrem hyrod,
Einig bleiben alle sein tag
In Leid vertreiben 2 und in klag —
Solich eeleüt tet man derzeit breisen
Und halten darzii für ein weisen,
Der so allein sie liebt und ert,
Die im got selber hat beschert.
1 miete, miet = Lohn, Vergeltung.
2 Hier = das Leben hinbringen.
Alemannia N. F. 3, 1/2.
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