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Blocher
Namen tragen, werden uns berichten, dass ihre Muttersprache
eigentlich deutsch war und sie sie nur im Umgang mit ihren
Kindern und Enkeln etwas verlernt haben. Man kann auch
wahrnehmen, dass das Deutsche in den hintern Gässchen zu
Hause ist, dass die Pfründner im Spital, die Bettler, die alten
Originale, wie sie jede Stadt aufweist, die Kretinen und Kropfträger
, deren Anblick schon Goethen bei seiner Durchreise
durch Sitten „gänzlich den Humor verderbte", meistens
deutsch sprechen.
Sitten ist im Laufe des 19. Jahrhunderts aus einer
deutschen zu einer französischen Stadt geworden. Die Urkunden
und die Statistik beweisen das. Die erste französische
Schulklasse ist nach Zimmerli im Jahre 1822 in Sitten
eingerichtet worden; den Zöglingen der Jesuitenschule war es
im 18. Jahrhundert verboten, unter sich „anders als deutsch
oder lateinisch" zu reden. Jetzt sind noch 30 °/° der Einwohner
Sittens Deutsche.
Es ist anzunehmen, dass das Deutschtum in Sitten noch
mehr zurückgehen werde. Ganz verschwinden wird es nicht;
denn die Zuwanderung aus der deutschen Schweiz, der Sitten
wie die ganze romanische Schweiz ausgesetzt ist, findet hier
an dem autochthonen Deutschtum eine Stütze und stärkt
dieses seinerseits wieder. Sind auch die deutschen Sittener
zum großen Teil arme und ungebildete Leute, die keinen Ein-
fluss auf das öffentliche Leben haben, so halten doch eben
gerade diese Leute, die nichts zu verlieren haben, besonders
zähe an ihrer Muttersprache fest, viel zäher als jene erwerbstüchtigen
deutschen Einwanderer, die, um weiterzukommen,
sich überall anpassen. Sitten wird deshalb, solange im Wallis
deutsch gesprochen wird, seinen Grundstock von deutsch
redenden Einwohnern behalten. Aber das ändert an der Tatsache
nichts, dass, im ganzen genommen, Sitten heute eine
französische Stadt ist.
Diese vollendete Verwelschung Sittens und die heute vor
sich gehende Verwelschung von Siders sind die beiden Tatsachen
, die das Wallis in den Ruf gebracht haben, dass es
mit Riesenschritten seiner gänzlichen Verwelschung entgegen-
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