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Aus dem Sprachleben des Wallis
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noch anderswo stellen als gerade im Wallis, gibt es doch
Gebiete, wo die Sprachmischung größer ist als hier. Aber
das Eigentümliche der Walliser Verhältnisse liegt in der völligen
Abgeschlossenheit des deutschen und einer verhältnismäßig
großen Abgeschlossenheit selbst des französischen
Sprachgebiets innerhalb des Kantons, sowie in der Homo-
geneität des Lands und seiner Bevölkerung. Da wo, wie hier,
die Zweisprachigkeit das einzige ist, was die Bevölkerung
eines Lands teilt, muss es besonders lehrreich sein, den
Wirkungen dieser Doppelsprachigkeit nachzugehen, weil da
nichts anderes störend dazwischen tritt. Immerhin wird sich
manches von dem, was ich hier zu sagen habe, auch anderswo
feststellen lassen und namentlich von der französischen Schweiz
überhaupt gelten.
Wie denkt im Wallis das Volk über Zweisprachigkeit,
Sprachgebiet und Sprachgrenze? Da ist denn vor allem etwas
Merkwürdiges wahrzunehmen: dass es nämlich die uns so
geläufigen Begriffe Sprachgebiet und Sprachgrenze
für das Volk nicht gibt. Der Oberwalliser Bauer zwar
wird uns gewöhnlich zu sagen wissen, dass das Deutsche bis
Siders reicht. Aber bei zweisprachig erzogenen Leuten und
besonders bei Welschen verwischt sich der Begriff der Sprachgrenze
völlig. Bei den Welschen ist ja überhaupt der Sinn
für die Gleichberechtigung und den selbständigen Wert anderer
Sprachen und Rassen weniger lebendig als bei uns Germanen.
Der altrömische Gedanke, dass alle Nichtlateiner „barbari"
seien, ist noch nicht ganz tot1. Ich weiß von einer französischen
Offiziersfrau aus Paris, dass sie .allen Ernstes gefragt
hat, ob wirklich in Frankfurt und Hannover auch gebildete
1 Dafür lassen sich unzählige Beweise anführen. Hier nur einen
einzigen aus dem Wallis. Der Gebirgsbach, der die Gemeinden Siders
und Saigesch trennt und somit heute als die Sprachgrenze gelten kann,
heißt die Raspille (deutsch Raspilli). Dazu machen die Unterwalliser
den Witz: cette race pille, „hier fängt das Räubervolk an", wovon
der Bach seinen Namen bekommen habe. Und doch sind die deutschen
Oberwalliser ökonomisch und moralisch den welschen Unterwallisern völlig
ebenbürtig.
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