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Blocher

nur eine unwesentliche Belastung des Kindergedächtnisses. Das
Kind lernt etliche Wochen oder Monate später sprechen, eignet
sich aber hernach mit Leichtigkeit für jeden Gegenstand oder
Vorgang zwei Wörter an. Es gibt dreijährige Kinder, die
ohne Schwierigkeit einen deutsch erteilten Auftrag französisch
ausrichten. Aber wenn die Kinder älter werden, so ändert
sich die Sache. Sobald sich der Wortschatz bereichert,
schwierigere Gedanken ausgedrückt und mannigfaltigere
Redensarten gebraucht werden sollten, dann hält das doppelsprachige
Kind nicht mehr Schritt, und es tritt entweder eine
unverantwortliche Quälerei ein, oder eine der beiden Sprachen
bleibt doch zurück. Leute aus dem Volk empfinden das indessen
selten; sie sind mit wenigem zufrieden, ihr beschränkter
Wortschatz ist leicht in zwei Sprachen anzueignen: fröhlich
und zuversichtlich sagen sie, sie könnten zwei Sprachen, oder
drei oder vier, während sie eigentlich nur eine oder gar
keine .ordentlich können.

Ich halte es darum im allgemeinen nicht für einen Gewinn
, wenn ein Kind zwischen zwei Sprachen aufwächst.
Mannigfaltige Beobachtungen haben mich gelehrt, dass das
zweisprachige Kind immer einen beschränkten Wortschatz hat.
Bei den zweisprachigen Schülern unserer Volksschule ist man
oft in bitterer Verlegenheit, wie man sich ausdrücken soll,
um richtig verstanden zu werden. Man hat zwei Sprachen zur
Verfügung, und es ist doch zu wenig.

Ich halte das geradezu für eine Schädigung des Kinds.
Es ist keine Phrase, wenn man sagt, der Mensch brauche
eine Muttersprache; denn die Sprache ist ein überaus wichtiges
Erziehungsmittel. An den poetischen Wendungen eines
Kinderreims bildet sich das Gemüt, lernen wir Begeisterung,
Liebe, Humor, Scherz, Schelmerei, Abscheu, religiöse, sittliche,
vaterländische Empfindung. Den Kindern, die zweisprachig
aufwachsen, entgeht nun aber gerade dieses Feinste und
Teuerste, was die Sprache hat; sie erfassen eigentlich nur das
Übersetzbare.

„Täubchen im Sonnenschein!
Möcht mit euch fliegen!"


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