http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zgb1905/0335
Ein Landsgemeindetag in Appenzell
309
erkannten Anpassung an die Anforderungen der heutigen Zeit —
der Bauer ist bedächtig, fürchtet sich vor dem Schreibertuni,
zahlt nicht gern; mit 10000 Fr. jährlich wurden bis jetzt die
Kosten der Verwaltung bestritten; freilich ist es unbequem das
Aufsuchen der Regierungsräte in ihren verschiedenen Wohnorten,
das abAvechselnde Tagen der Behörde bei einem von ihnen —
aber ein Amthaus in Herisau bauen, ständige Hilfsbeamte dort
anstellen? — Nein! Warum soll es nicht wie bisher weitergehen
? — Dabei genießen die Männer der Regierung offenbar
allgemeines Vertrauen, wie aus deren einträchtiger Wiederwahl
zu schließen; ihr haben sich Verwaltungsbeamte und Richter
alljährlich zu unterziehen, der Landammann mit der Beschränkung,
dass sich seine Amtsdauer nicht über drei Jahre, ohne Unterbrechung
erstrecken darf. — Der Landammann, bei seiner Wahl
der älteste Regierungsrat, verliest die Namen der bisherigen
Inhaber der Ehrenämter und fordert zu etwaigen andern Vorschlägen
auf, die aber nicht gemacht werden. — Dann frägt der
Waibel: „Wem's gfallt, dass Herr Landammann Lutz von Lutzenberg
auch für dieses Jahr wieder bestätiget werde, der bezeuge
es mit seiner Hand!" Und zur Gegenprobe, obwol augenscheinlich
so gut wie alle der Aufforderung gefolgt sind: „Wer denselben
entlassen will, der hebe seine Hand auf!" so weiter dann
auch bezüglich der fünf anwesenden Regierungsräte; für den
sechsten, der gestorben, bittet der Vorsitzende, wenn man so
sagen darf, denn es wird die ganze Zeit gestanden, um Vorschläge
-Zurufe — Regierungsräte vermerken die Namen, der
Landammann verkündigt sie, fragt, ob etwa weitere genannt; der
Waibel lässt dann wie vorher abstimmen, schließlich noch einmal
über die drei, welche die meisten Stimmen erhalten hatten;
der Gewählte, von den Umstehenden durch Emporstrecken ihrer
Degen bezeichnet, wird durch die Landsknechte aus der Menge
auf den „Stuhl" geleitet. Schneller vollzieht sich dann wieder die
Wahl der Oberrichter und ihres Vorsitzenden. Die Gewählten
leisten den Amtseid und ebenso, auf die Verfassung und Gesetze,
die ganze Versammlung: „Das will ich halten ohne alle Gefährde,
so wahr ich wünsche und bitte, dass mir Gott helfe!" Alle wieder
mit entblößtem Haupte; ein wunderbarer Anblick, wie drauf die
Wolke der Hüte sich wieder auf das Meer von Köpfen deckt. —
Die Regierung tritt, wieder in feierlichem Zuge, ab nach
knapp einstündiger Dauer der Tagung, und die Menge geht ruhig
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zgb1905/0335