http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zgb1907/0224
204
Kahle
noch ein zweites Beispiel gehört hierher, das zwei Jahre
später erfolgte Leichenbegängnis Attilas, über das gleichfalls
Jordanis K. 49 berichtet. Hier umreiten die Helden, und zwar
aller Wahrscheinlichkeit nach auch Goten3, den Grabhügel und
preisen den Attila in einer Totenklage (cantu funereo). Auch
den Inhalt des Lieds kennen wir: er wird als Alleinherrscher
der skythischen und germanischen Lande gepriesen, vor dem
beide römische Reiche zitterten und dem sie Tribut zahlten;
nicht durch Wunde der Feinde, nicht durch Verrat ist er gestorben
, inmitten der Seinen von Freude umrauscht froh und
schmerzlos. Und wie noch heute bei der Heimkehr von soldatischem
Leichenbegängnis frohe Marschlieder erschallen, oder
wol noch nach studentischem das Gaudeamus igitur gesungen
wird, oder wie in G. Kellers „grünem Heinrich" nach dem
Leichenbegängnis der Bäuerin der Tanz der Jugend folgte, so
feierten auch die Helden auf dem Grabhügel „eine sogenannte
Strava, d. h. ein gewaltiges Trinkgelage, und ließen die Totenklage
, Gegensätzliches in eins verschlingend, in Äußerungen
der Freude übergehen". Auch das müssen improvisierte Lieder
gewesen sein. In beiden Fällen sind es Männer, die sie singen.
Inhaltlich stellt sich die Klage an der Leiche Attilas zu den
schottischen Totenklagen, in denen die Taten des Verblichenen
(und seiner Vorfahren) aufgezählt wurden (S. 106). Wenn aber
diese Totenklagen als feierliche aus der Volksdichtung auszuscheiden
sind — obwol mir dies nicht recht einleuchtet —,
so hätte vielleicht ein drittes von Kögel4 angeführtes Zeugnis
des Prokop, de bello Gothico II, 2, angeführt werden können.
Als die Goten 537 vor Rom lagen, erschollen Klagelieder,
{fyfjvoi noWoi xal xomoto! ^äXoi, aus dem gotischen in das
römische Lager herüber. Der Vorgang spielt sich nachts ab,
und so denkt Kögel daran, dass wir es hier eher mit „den
lyrischen, mit Klagerufen untermischten Schmerzausbrüchen
während der Leichenwache" zu tun haben. Hat Kögel recht,
dann liegt hier also eine Totenklage der Art vor, wie sie Bockel
3 Kögel a. a. 0. S. 47 f.
4 A. a. 0. S. 49.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zgb1907/0224