http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zgb1908/0295
Die verlorene Inschrift vom Rheintor zu Breisach 277
Ruhestätte des großen Staatsmannes wirklich damit schmücken
zu wollen. Vielleicht verdankt auch unsere angebliche Inschrift
nur einem solchen geistreichen Spiel ihre Entstehung.
Woher das Distichon stammt, wer es verfasst hat, wird
die Welt wol nie erfahren. Aber seitdem es einmal geprägt
war, schien es der klassische dichterische Ausdruck zu sein für
das, was die Besitzergreifung Breisachs für Frankreich bedeute.
Man fand, dass diese Verse ihren richtigen Platz an dem Prachtbau
des Rheintors haben würden, ja, dass sie wol auch einmal
dort gestanden haben müssten. Und so übernimmt es die eine
Generation von der andern. Die Schriftsteller aber sind unsere
Zeugen dafür. Die einen, die niemals an Ort und Stelle gewesen
sind, behaupten frischweg, dass die Verse an dem Rheintor
zu lesen seien; die andern, welche dort waren und die Inschrift
vermissten, folgen doch gern der Ortsüberlieferung und
sagen, sie seien „vor etlichen Jahren" oder „im vorigen Jahrhundert
" daselbst zu lesen gewesen.
Das Ganze mag wol als ein eigentümliches Beispiel dafür
gelten, nicht wie eine historische Legende entsteht, denn das wissen
wir in diesem Falle nicht, wol aber wie sie sich fortpflanzt
und fortgepflanzt hat bis auf den heutigen Tag.
Aber wenn es anders eine Legende ist, der historische
Kern und die innere Wahrheit fehlen auch ihr nicht. Sie bleibt
ein Denkmal dafür, wie das 17. Jahrhundert über Ludwig XIV.,
über die Stellung Frankreichs zu Deutschland gedacht hat und
denken musste.
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