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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1970/0126
Hugo Lädier

urteilte später noch schärfer, als er das Reich eine „dynastisch-bürokratische Pfründenversicherung
" nannte 70.

Die Arbeiterbewegung war namentlich in Süddeutschland noch schwach und
zudem in heillose Richtungskämpfe und die Abklärung des Führungsanspruchs verstrickt
. Es vertraten überdies Marx und Engels eine andere Strategie als Bebel und
der einstige Teilnehmer am Pfälzer Aufstand Liebknecht. Marx und Engels sahen in
der Bildung eines gesamtdeutschen Staates die notwendige Voraussetzung für eine
erfolgreiche Entwicklung der Arbeiterbewegung, und je reaktionärer dieser Staat
ausfiel, umso sicherer würde die Revolution kommen. Die Ernte aber sollte eine
rein proletarische Partei auf der Grundlage des von Marx entwickelten wissenschaftlichen
Sozialismus eintun ™. Diese Haltung drängte zwangsläufig den Kampf
gegen eine „großpreußisch-militaristische Reichsgründung" - so der Titel der Jahresgabe
aus der DDR - in den Hintergrund zugunsten der Bildung einer so projektierten
Partei gegen alle Konkurrenten proletarischer, kleinbürgerlicher, klerikaler
und auch nichtdeutscher Herkunft wie Proudhonisten oder Bakunisten7!. 1869 war
der Prozeß soweit gediehen, daß auf dem Kongreß der Arbeitervereine in Eisenach
die SDAP förmlich gegründet werden und ein Jahr später dann, am Vorabend
des Krieges, auf dem ersten Parteikongreß in Stuttgart Liebknecht der kleinbürgerlichen
Demokratie die seitherige Aktionsgemeinschaft endgültig kündigen konnte:
„Die SDAP geht mit keiner anderen Partei Koalitionen und Kompromisse ein." 75
Die Haltung, die dann Bebel-Liebknecht dem neuen Staat gegenüber einnahmen,
war die der prinzipiellen Kampfansage, aber auch, und dies zum taktischen Vorteil
Bismarcks, die des Bürgerschrecks.

j Die Klerikalen wußten sich einer Kirche verpflichtet, die mit Syllabus und
Infallibilität wenig überzeugende Antworten auf die Herausforderung durch den

70 Weber: Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland. In: Ges. polit. Schriften.
2. Aufl. 1958. S. 405. Ebenfalls dort: „Für die Höfe sowohl wie für die einzelstaatlichen Bürokratien
lag der Gedanke nahe, im Reich vor allem eine Versicherungsanstalt für die eigene Stellung
zu sehen, die Throne als durch das Reich garantierte Pfründen und das Verhältnis zu
Preußen als den Rückhalt kontrollfreier Beamtenherrschaft auch in den übrigen Einzelstaaten zu
behandeln." Wie weit das Urteil Webers zutrifft, welchen Rückhalt der süddeutsche Konstitutionalismus
am Reich, an Preußen und vor allem an Bismarck dann in der Tat fand, wie schwierig
sich unter diesen Umständen der Prozeß einer Parlamentarisierung der Einzelstaaten gestaltete,
dazu die Arbeiten von Menzinger: Verfassungsrevision und Demokratisierungsprozeß im Königreich
Württemberg. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des parlamentarischen Regierungssystems
in Deutschland. Stuttgart 1969. Fritz Frh. v. Rummel: Das Ministerium Lutz und seine
Gegner, 1871—1882. Ein Kampf um Staatskirchentum, Reichstreue und Parlamentsherrschaft in
Bayern. München 1935. Für Baden etwa Manfred Stadelhofer: Der Abbau der Kulturkampfgesetzgebung
im Großherzogtum Baden 1878—1918. Mainz 1969.

71 „Die arbeitende Klasse", schrieb etwa Engels bereits 1865, „gebraucht zur vollen Entfaltung ihrer
politischen Tätigkeit ein weit größeres Feld, als es die Einzelstaaten des heutigen zersplitterten
Deutschlands darbieten." Zit. nach Steinberg: Sozialismus. S. 322.

72 Betont herausgearbeitet von den Historikern der DDR, etwa durch Heinrich Gemkow, Ursula
Hermann: Das „Demokratische Wochenblatt" — seine Rolle bei der Vorbereitung der Eisenacher
Partei. In: Großpreußisch-militaristische Reichsgrün düng. S. 598—624. Das Demokratische Wochenblatt
unter der Redaktion von Liebknecht war zunächst das Organ der sächsischen Volkspartei.
Unter dem neuen Titel „Der Volksstaat" wurde es dann im Herbst 1869 zum Zentralorgan
der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Ferner Ernst Engelberg: Fragen der Demokratie, des
Sozialismus und der Partei in der deutschen Arbeiterbewegung. Ebd. S. 625—658.

73 Aus der Resolution, die der Kongreß annahm, s. Schmierer: Arbeiterbildung. S. 155.

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