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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1971-72/0123
Besprechungen

seine Arbeit einer Lösung näherzubringen. Sie als soziale Einheit voraussetzend, hat er
die größten privaten Berechtigten herausgegriffen: die Standesherren, jene Gruppe also,
die nach 1806 ihre bisherige reichsfreie Stellung verloren, ihren sozialen Führungsanspruch
aber mit allen rechtlichen Mitteln zu halten versucht hatte.

Der eigentlichen Untersuchung über die Höhe der Ablösungskapitalien für einzelne
standesherrliche Familien geht eine systematisierende Darstellung voran über diejenigen
Kapitalquellen, welche in der bisherigen Industrialisierungsdebatte schon genannt und näher
untersucht worden waren. Winkel schränkt übrigens für seine Arbeit den Kapitalbegriff
insoweit ein, als er nur das dem Eigner jederzeit frei verfügbare, ungebundene Kapital
— das am ehesten der Industrialisierung zugute kommen konnte — in seine Untersuchung
mit einbezog. Weder die Selbstfinanzierung (nur in wenigen Ausnahmefällen) noch das
vorhandene Sparkapital waren in der Lage, das kurzfristig auftretende Bedürfnis nach
großen Kapitalmengen in ausreichender Weise zu befriedigen. Die durch Groß- und Kleinhandel
erworbenen Kapitalien wurden aus verschiedenen Gründen überwiegend wieder im
Handel und nur in wenigen Gebieten (vor allem im kölnischen Raum) in die erwachende
Industrie angelegt. Die vorhandenen Privatbanken pflegten aus Überzeugung zunächst noch
den lukrativen Staatskredit, darüber hinaus war ihre Kapitalbasis für den neuen Bedarf
auch zu gering. Erst mit der Möglichkeit, auch kleinere Sparkapitalien anzulegen (Sparkassen
!), wurden diese in ihrer Vereinzelung unwirksamen Guthaben wirksam gemacht.

In der Untersuchung über die wirtschaftlichen Gewohnheiten und Interessen der adeligen
Grundherren kann Winkel abschließend feststellen — und auch im Laufe seiner Untersuchung
immer wieder bestätigen —, daß „Beispiele kapitalistischer Wirtschaftsführung und
Unternehmertätigkeit von Angehörigen des Adels ... auf besonders hervorstechende außergewöhnliche
Persönlichkeiten beschränkt" (S. 28/29) bleiben. Durch diesen mangelnden
kapitalistischen Wirtschaftsgeist, aber auch häufig durch Hausverträge gezwungen, wurden
die aus der Ablösung erzielten Kapitalien überwiegend wieder im Erwerb von Grund und
Boden investiert oder aber, den bisherigen Lebensstil fortsetzend und dabei laufend verarmend
, sogleich verbraucht. Später ließen sich einzelne Adelige von Firmen aus Repräsentationsgründen
anwerben, um durch ihr Ansehen eine bessere Plazierung der Aktien an den
Börsen zu ermöglichen.

Die Darstellung der Ablösungsgesetzgebung in den Ländern Württemberg, Baden und
Nassau hat informativen Charakter und läßt die Problematik dieses Gesetzeswerkes erkennen
, vermittelt aber auch einen Eindruck von dem großen und tiefgreifenden evolutionären
sozialen Umschwung, der durch diese Gesetze initiiert wurde. Im Hauptteil seiner
Arbeit ermittelt Winkel schließlich bei über 20 Standes- und Grundherren die Höhe und
die jeweilige Verwendung der Kapitalien aus der Bauernbefreiung.

Dem Verbreitungsgebiet dieser Zeitschrift entsprechend könnte jetzt eine ausführliche
und pars pro toto verstandene Darstellung der hohenzollerischen Verhältnisse erfolgen. Das
Haus Hohenzollern-Sigmaringen hatte Winkel in seine Untersuchung mit einbezogen, weil
es mit dem Vertrag vom 7. Dezember 1849 seine Souveränität an das stammverwandte
preußische Herrscherhaus abgetreten hatte, danach also den mediatisierten Standesherren
gleichzusetzen war. Doch neben einem unrichtigen Zitat des Gesetzes über die Ablösung
der Leibeigenschaftsgefälle vom 6. Juni 1840 (die von Winkel genannte Summe von
290 000 fl trifft auf die Gefällablösung nach dem Gesetz vom 6. September 1848 zu — vgl.
FAS 21876 —, in Bezug auf die Höhe der Leibeigenschaftskapitalien hat man sich an die
Angaben des damaligen Regierungschefs Freiherrn von Schweinsberg zu halten, der
140 000 fl berechnete) nennt Winkel lediglich die dem Fürstenhaus aus der Zehntablösung
seit dem Jahr 1860 zufließende Ablösungskapitalien. Deren Höhe war den Berechtigten
selbst nicht sogleich bekannt, so daß verschiedene archivalische Angaben darüber vorliegen.
Die von Winkel zitierte höchste Summe von 1 707 643 fl dürfte den tatsächlichen Betrag
nicht erreichen. So wird z. B. 1876 für alle Berechtigten (also auch die Fürstenhäuser
Fürstenberg und Thum und Taxis sowie die katholische Kirche) ein Gesamtbetrag von
8 538 749 Mark (etwa 5 700 000 fl) angegeben (StAS, Ho 252/253 Nr. 11). Von diesem

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