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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1973/0181
Besprechungen

frankens, in seiner Pfalz Attigny im Jahre 916 eine Kirche zu Ehren der heiligen Walpurgis
errichten ließ, in der „zum Schutz des ganzen Reiches" (pro tutamento totius regni) Wal-
purgis-Reliquien deponiert werden sollten. Dieses Ereignis bildete den Anfang einer Kultbewegung
, die aus Walpurgis vornehmlich eine Schutzheilige gegen Wikinger und Normannen
machte. Eine weitere Intensivierung der Walpurgis-Verehrung brachte das durch Pest,
Seuchen und Ernährungskrisen gekennzeichnete Spätmittelalter. Damals trat Walpurgis
in den Gesichtskreis des Stadtbürgertums, das ihr die Rolle einer Nothelfer- und Spitalheiligen
zuwies.

Der weitreichenden und bewegten Wirkungsgeschichte Walpurgens kontrastiert ein
überaus kärglich bezeugtes Erdendasein der Heiligen. Es gelingt dem Verfasser, aus dürftigen
Überlieferungsresten eine „Vita Walpurgis" aufzubauen, in der sich gesicherte Tatsachen
, einleuchtende Analogieschlüsse und Vermutungen gegenseitig ergänzen. Familiäre
Herkunft, Bildungs- und Lebensgang werden subtil herausgearbeitet. „Petrusverehrung,
Todesfurcht, Missionsarbeit im Dienste des Himmelspförtners, ein hochgestimmter religiös
fundierter Freundschaftskult" (S. 61) bezeichnet der Verfasser als die zentralen Inhalte
ihrer Geistigkeit und Spiritualität.

Angesichts der ungleichmäßigen Erschließung und der stark divergierenden Qualität
des in Frage kommenden Quellenmaterials sind dem Bemühen um Vollständigkeit von
vorneherein Grenzen gesetzt. Dessen ungeachtet läßt die publizierte Arbeit eine großartige
Arbeitsleistung erkennen. Der Autor hat mit Fleiß und quellenkritischer Akribie nicht gegeizt
, um eine Fülle disparater Quellenbelege zu erfassen und methodisch vorbildlich zu
verarbeiten. Auch die theologische Problematik seines Untersuchungsgegenstandes hat der
Verfasser mit Kennerschaft aufgearbeitet. Bei der Erörterung theologischer und patrozi-
nienkundlicher Grundsatzfragen sah sich der Verfasser gelegentlich zu stilistischen Höhenflügen
veranlaßt, die der angestrebten Korrespondenz zwischen Wort und Sache nicht förderlich
sind. Fünf Abbildungen aus Handschriften des hohen und späten Mittelalters vermitteln
Zugänge zur Ikonographie der heiligen Äbtissin. Zwei Karten verdeutlichen die
räumliche Verbreitung des Walpurgis-Kultes. Ein ausführliches Personen- und Ortsregister
erschließen die reichhaltigen patrozinienkundlichen und kultgeographischen Daten.

Angesichts des beträchtlichen Umfanges der Arbeit mag es vermessen erscheinen, auch
noch Desiderate anzumelden. Da der Autor vornehmlich an patrozinienkundlichen und
kultgeographischen Fragen interessiert ist, verzichtet er darauf, sich eingehender mit der
handschriftlichen Verbreitung der Walpurgis-Viten zu befassen, was aus arbeitsökonomischen
Gründen auch durchaus verständlich erscheint. Es war ihm, wie er einleitend versichert
, auch nicht mehr möglich, seine Arbeit dem neuesten Forschungsstand anzugleichen
bzw. die seinen Gegenstand betreffende Literatur, die nach 1968 erschienen ist, umfassend
aufzuarbeiten. Bedauerlich bleibt überdies, daß der Verfasser die Hagiographie aus seinem
Untersuchungsbereich weitestgehend ausgrenzt. Mit Hilfe hagiographischer Traditionen
hätten sich die „sozialgeschichtlichen Aspekte" des Walpurgis-Kultes, die der Verfasser
eigens thematisiert und herauszuarbeiten versucht, noch ungleich schärfer in den Blick bringen
lassen. Um auszumachen welche Interessen den geschichtlichen Wandel eines Heiligenbildes
bestimmten, welche Bedeutung einer Heiligen für die Stabilisierung oder kritischbefreiende
Veränderung bestehender Rechts- und Sozialverhältnisse zukommt, welche sozialen
Bedürfnisse für die Rezeption und die Ausbildung eines Heiligenkultes maßgebend
waren, stellen hagiographische Texte Erkenntnismöglichkeiten bereit, die genutzt werden
sollten.

Bei der Lektüre des gedankenreichen und gehaltvollen Buches sind mir noch ein paar
ergänzende Quellenbelege eingefallen, die nicht ausgespart bleiben sollen. Der erste Wal-
purgis-Beleg, den der Verfasser für das Kloster Blaubeuren anführt, datiert aus dem Jahre
1505. „Walpurgis vfirgo]" erscheint jedoch bereits in dem vor 1496 abgefaßten Blaubeurer
„Passionale sanctorum decimum" (vgl. Paul Lehmann und Nonnosus Bühler: Das Passionale
decimum des Bartholomäus Krafft von Blaubeuren. In: Histor. Jahrbuch 34 (1913)
521). Für die Abtei Kempten wäre ein Beleg aus dem zwischen 993 und 1000 gefertigten

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