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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1979/0148
Bumiller

negativ zu spüren bekommt, wenn er sich außerhalb der - einseitig bestimmten - rechten
Bahn bewegt. Die Gestalt der Fürsten als strafendem oder lobendem Landesvater, der -
obwohl unsichtbar und weit entfernt - alles mitkriegt, muß im Denken und Fühlen der
Bauern eng verschmolzen sein mit ihrer Vorstellung von Gott, dessen Eingreifen in das
Leben des einzelnen nach der Christenlehre ganz entsprechend funktionierte. Eine
historische Psychologie des Bauernstandes ist meines Wissens noch nicht geschrieben
worden; sie müßte aber wohl bei solchen Beobachtungen ansetzen14.

Entscheidend ist, daß sich der Untertan von Kindheit an in Beobachtung wußte. Das
fängt an mit der väterlichen Autorität im Elternhaus, setzt sich fort über den Pfarrer und
den Lehrherrn (der aber häufig wieder der Vater ist) und reicht bis hin zum Vogt, der die
Herrschaft auf dem Dorf sichtbar vertritt, und zum Fürsten, der bei Verstössen und
Vergehen aus relativer Unsichtbarkeit heraus wirksam wird. Und selbst im scheinbar
privaten Bereich, im Geheimen, hat der Untertan noch die Autorität Gottes verinner-
licht, dessen Auge alles sieht.

Was bleibt also vom Bereich des Privaten übrig, der etwa zur gleichen Zeit vom
empfindsamen Bürgertum in den Städten »erfunden« wird und sich dort auch in Mode
und Architektur (getrennte Schlafzimmer) niederzuschlagen beginnt? Auf dem Dorf im
Bauernstand läßt sich - ebenfalls an der Architektur - zeigen, daß die Entwicklung eines
privaten Raums (in jeder Bedeutung des Wortes) noch lange auf sich warten ließ (ja erst in
diesem Jahrhundert begann). Im normalen Bauerahaus gab es neben der Küche und der
Stube in der Regel zwei Schlafkammern. Die Kinder schliefen entweder bei den Eltern
oder teilten sich zu mehreren eine Kammer. Als 1773 der Kiefergesell Ott nächtlicher
Weile bei der ledigen Theresia Bumillerin einstieg, wurde er an seinen Absichten
gehindert, weil die im selben Raum schlafende jüngere Schwester aufgewacht war.

Alles ist also offen und damit öffentlich, und für alle wichtigen Vorgänge braucht der
Untertan öffentliche, d.h. herrschaftliche Zustimmung: Heirat, Auswanderung, Kauf
und Verkauf von Gütern usw. Dies hing wenigstens teilweise mit der Leibeigenschaft
zusammen, durch die der Bauer an die Herrschaft gebunden war. Außerdem verfügte der
Fürst zu einem Teil über die Arbeitskraft der Untertanen: im Frondienst. Andererseits
muß gerechterweise gesagt werden, daß mir kein Fall bekannt geworden ist, in dem der
Fürst einen Consens verweigert hätte, er genehmigte sogar selbstverständlich Ausnahmen
. Aber dies hat natürlich seinen wirtschaftlichen Hintergrund.

Alle Genehmigungen sind mit einer Gebühr verbunden, jede Veränderung in den
Verhältnissen des Bauern kostet Geld, alle Strafen werden in Geld verbüßt, obwohl
erkennbar ist, daß es sich ursprünglich um Körper- oder Turmstrafen gehandelt hatte. Ja,
man gewinnt sogar den Eindruck, daß Ausnahmen bewußt zur Regel gemacht wurden,
weiterhin aber - als Ausnahmen - mit einer Sonderzahlung belegt sind. So kassiert die
fürstliche Kammer eine fast unübersichtliche Zahl von Gebühren, Abgaben und Strafen:
Hauptfälle, Manumission, Abzug, Handlohn, Zölle, Schildlosung (bei Gasthäusern),
Umgeld, Wanderjahrgeld, Dispensation vom Heiratsalter, Strafen bei Injurien, Rauffe-
rey, Obstfrevel, Diebstahl, Imprägnations- und Fornicationsstraf, Geld statt der Turmstrafe
usw. Körperlich oder gefänglich werden nur Frauen bestraft (zusätzlich zur
Geldstrafe) oder Leute, bei denen nichts zu holen ist: Gervasius Müller hat sich puncto
sexti außer Lands verfehlt. Da derselbe nun nichts in Vermögen besitzet, so wird er 3 Tage
lang bey Wasser und Brot eingedumt (1775).

14 Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Studie von A. Ilien/Utz Jeggle: Leben auf dem Dorf.
Zur Sozialgeschichte des Dorfes und zur Sozialpsychologie seiner Bewohner. Opladen 1978.

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