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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1979/0149
Junginger Audienzprotokolle 1751-1775

Der erhöhte private Aufwand des absolutistischen Fürsten und die größeren Anforderungen
an den Staatshaushalt hatten im 18. Jahrhundert zur Kamerai Wirtschaft
geführt, die die (gefüllte) Staatskasse in den Mittelpunkt des Wirtschaftsdenkens stellte.
Für den Untertanen drückte sich der Kameralismus in den beschriebenen Gebührenerhebungen
aus15.

Es gab dennoch Bereiche, in denen der einzelne mit Vorbehalten selbständig
entscheiden konnte: bei der Wahl des Berufs und der Ehefrau. Die Wanderschaft des
Handwerksgesellen war die einzige Möglichkeit, einmal »in die Welt hinaus« zu
kommen. Möglicherweise steht diese »Weltkenntnis« auch in Zusammenhang mit der
größeren Bereitschaft der Handwerker zu Ungehorsam.

Auch die Gemeinde als Körperschaft hatte ihren Handlungsspielraum. Ihr oblag die
Bestellung der Dorfämter. Das begann mit der Wahl des Vogts, der Bürgermeister
(Rechnungsführer), Richter (etwa Gemeinderäte) und Vierer (ein Kontrollorgan). Aber
es gab eine Unzahl weiterer Gemeindeämter: Untergänger, Feldschützen, Nachtwächter
, Feuerschauer, Brotschätzer, Hirten. Die Gemeinde war natürlich auch zuständig für
die Armenfürsorge: Für Waisen werden sogenannte Kinderpfleger bestellt; arme Leute
erhalten aus Allgemeinbesitz Bauland: Vinzenz Grösser hat zur Erbauung seines Häusles
von der Gemeinde ein Stück Allmand erhalten (1768). An all diesen Vorgängen und
Entscheidungen sind jeweils nur die männlichen Bürger des Dorfes beteiligt; Frauen sind
ausgeschlossen. Aber es gibt ein Amt, das traditionsgemäß Frauen ausüben und das von
den Frauen bestimmt wird, das der Hebamme. Hebamme war in Jungingen bis zu ihrem
Tod 1772 Barbara Riesterin. Sie wurde von Juliana Bumillerin abgelöst; als aber auch sie
schon 1773 starb, trat an ihre Stelle Catharina Riesterin.

Daß die Gemeinde als Körperschaft sogar prozeßfähig war, obwohl alle einzelnen
Bauern und Handwerker Leibeigene waren, ist zur Genüge bekannt. Berühmtes Beispiel
in Hohenzollern ist ja der Prozeß der zollerischen Dörfer gegen die Herrschaft vor dem
Reichskammergericht in Wetzlar, der fast das ganze 18. Jahrhundert dauerte (1700-
1798). Aber all diese Freiheiten des einzelnen und der Gemeinde waren nur möglich im
Rahmen einer absoluten Herrschaft.

Ich stimme mit den Kritikern einer allzu düsteren Situationsbeschreibung des
Bauernstandes darin überein, daß der Bauer der frühen Neuzeit und auch anderer
Epochen materiell gar nicht so schlecht gestellt war, daß es freiwillige Leibsergebungen
gab, daß manche Fürsten ihre Herrschaft oft gütig und menschlich ausübten16. Aber mir
fehlt bisher in der ganzen Diskussion das entscheidende Argument: Es kommt doch
wohl bei der Beschreibung der Freiheit oder Unfreiheit von Menschen nicht auf den
materiellen Güterstand an; ganz bedeutsam scheint mir dagegen die oben beschriebene
Tatsache der umfassenden Beobachtung, der moralisch-sittlichen Bevormundung neben
der Bevormundung im politischen Denken und Handeln und die dadurch ins Innenleben
der Untertanen eingefilterte Unfreiheit. Aus der moralischen Erniedrigung resultiert m.
E. die Charakterverhärtung der Bauern, die oft in die Literatur eingegangene Verrohung

15 Obwohl die Fürsten aus allem Geld zu machen wußten, hat sich die seit dem 30jährigen Krieg zu
beobachtende chronische Verschuldung des Fürstentums von über 200000 Gulden nicht
gebessert. Die Verschuldung resultiert u.a. daraus, daß das Fürstenhaus von 57000 Gulden
Einnahmen im Jahr allein 30000 fl. für sich beanspruchte; siehe R. Seigel: Die alten Herrschaftsgebiete
des Zollernalbkreises. In: Der Zollernalbkreis. Stuttgart 1979, S. 108.

16 In diesem Sinn geht etwa Hebeisen, wie Anm. 4, S. 131 f., mit dem Werk Cramers (Die
Grafschaft Zollern) ins Gericht.

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