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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1979/0196
Neues Schrifttum

Vermutung, der Jagdliebhaber Friedrich II. habe die Tracht der Jäger bevorzugt. Becker weist nach,
daß Grün damals noch nicht die generelle Jagdfarbe war. Auch die liturgische Auslegung als Farbe
der Hoffnung läßt sich schwer den Staufern speziell unterstellen. Obwohl Becker die Ambivalenz,
besser gesagt die Polyphonie der mittelalterlichen Farbensymbolik unterschätzt, ist seine handfeste
Deutung ansprechend: Grün war der Patricius-Mantel der früheren Kaiser, mit seiner Farbe
beriefen sich die späten Staufer legitimistisch auf die historische Tradition des römischen Patriziats.
Welchen Wert sie ihm beimaßen, kann Becker gleichfalls erschließen. Eine scheinbar belanglose,
nichtsprachliche Symbolwahl verweist den Historiker, der sie ernstnimmt, auf weitreichende
politische Ansprüche der mittelalterlichen Herrscher; man weiß es seit Percy Ernst Schramm.

Eine dritte Gruppe von Beiträgen widmet sich dem geistigen Leben anderer Führungsschichten,
die weniger eng als die Herrscher mit der Historiographie verbunden sind. Doch kommt auch beim
Studium der adligen und der geistlichen Gedankenwelt überall der Zusammenhang zwischen
Uterarisch-künstlerischen Aussagen und historisch-politischen Zuständen zutage. Erörtert werden:
die Figuren auf den skandinavischen Helmen der Vendelzeit, deren Götter und Helden das religiöse
Menschenbild nordischer Aristokraten verkörperten (Karl Hauck S. 27-70); Erscheinung und
Problematik einer »geistlichen« Adelsfamilie, nämlich der Vorfahren und Verwandten Liudgers,
des ersten Bischofs von Münster (Karl Schmid S. 71-101); das Zusammenspiel des westfränkischen
Königs mit Episkopat und Papst beim spätkarolingischen Konzil von Troyes gegen italienische
Adelspolitik und für allgemeine Kirchenreform (Hubert Mordek und Gerhard Schmitz S. 179-225);
Ausbildung und Verbreitung des Kultes für den heiligen König Edmund von East-Anglia, wobei
eine ältere hagiographische und eine jüngere heroische Tradition zusammenkamen (Robert Folz S.
226-246); die frühesten Spuren des Totengedächtnisses, mit dem sich alle Klöster des Mönchsverbandes
von Cluny zu ihrer Gemeinschaft bekannten (Joachim Wollasch S. 247-280); die Schicksale
einer Textfassung der alten Konstantinischen Schenkung, die während des Investiturstreites im
rheinisch-lothringischen Raum als aktueller Propagandabrief versandt wurde (Horst Fuhrmann S.
346-355); die Anfänge der Idee vom doppelten Antichrist bei Joachim von Fiore, der dem
endzeitlichen Widersacher Christi einen historischen, sogar zeitgenössischen Vorläufer beigab und
so der Eschatologie politische Brisanz verlieh (Raoul Manselli S. 427-449); Relevanz und Resonanz
der Staatstheorie Johanns von Salisbury, die zwischen altrömischen Rechtsdenken, kirchlichem
Gemeinwesen und monarchischer Herrschaft eine Brücke schlug und deshalb im westeuropäischen
Spätmittelalter wiederholt zitiert wurde (Walter Ullmann S. 519-545); die von der Forschung meist
übersehenen Querverbindungen zwischen Renaissance und Rittertum, zwischen humanistischer
Gelehrsamkeit und adliger Lebensform an italienischen Fürstenhöfen des Spätmittelalters (Werner
Goez S. 565-584). In diesen Arbeiten überwiegen internationale und gesamteuropäische Themen;
einige wurden von bedeutenden französischen, italienischen, englischen Gelehrten in ihrer
Muttersprache beigesteuert.

Stellvertretend für diese Gruppe sei ein südwestdeutscher Beitrag genannt, der von Jürgen
Sydow S. 450-467, der als einziger auch das mittelalterliche Bürgertum zu Wort kommen läßt.
Er betrifft das älteste Bruderschaftsbuch von St. Matthias in Trier aus dem späten 12. Jahrhundert.
Den Matthias-Bruderschaften gehörten Wallfahrer an, die zu den Gebeinen des Apostels Matthias
nach Trier pilgerten. Allgemeiner als Sydow könnte man fragen, ob bürgerliches Selbstbewußtsein
und Gemeinschaftsgefühl nicht ebenso stark von der Mobilität der Wallfahrer getragen wurden wie
von der Mobilität der Fernhändler und Handwerksburschen, ja, ob es nicht dieselben Gruppen
waren, die in Religion und Wirtschaft den Ton angaben. Mich überzeugt jedenfalls Sydows
Ergebnis, das an den Beispielen Hagenau und Augsburg erläutert wird, daß die Pilger vornehmlich
aus Kreisen der städtischen Domgeistlichen, Ministerialen und Patrizier stammten. Bedeutsam ist
ferner Sydows Hinweis, daß sich unter den Orten mit Matthias-Bruderschaften neben alten und
großen Städten auch aufstrebende Marktorte wie Tübingen und Buchau befanden, die vorerst bloß
wirtschaftliche Zentralität, keine politische Autonomie besaßen. Auf Matthias-Bruderschaften als
Keimzellen städtischer Frühformen muß demnach die stadtgeschichtliche Forschung noch genauer
achten, auch wenn und gerade weil ihr die mittelalterlichen Stadtchroniken dabei nicht weiterhelfen.

Aufs Ganze gesehen, dominiert in dieser Festschrift die philologisch-historische Methode mit
ihren Stärken und Schwächen. Zuerst wird für den rechten Text gesorgt: Der Band stellt eine Reihe

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