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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1979/0198
Neues Schrifttum

Strömungen, die sich aus der Perspektive kirchenamtlicher Rechtgläubigkeit als gefährliche
Ketzereien ausnahmen, ins Gesamtbild des Mittelalters einzuordnen. Dieses Anliegen hegt auch
Grundmanns Beschäftigung mit der Gestalt, der Gedankenwelt und der Wirksamkeit des kalabri-
schen Zisterzienserabtes Joachim von Fiore zugrunde. Die Bausteine, die Grundmann in jahrzehntelanger
Arbeit für das Verständnis und eine Biographie Joachim von Fiores erarbeitete, sind in Teil
2 zusammengefaßt. Die von Grundmann immer wieder ins Auge gefaßte Edition einiger Hauptwerke
Joachims (2, S. 71) mußte unverwirklichtes Forschungsprogramm bleiben. Entstehung und
Werdegang der religiösen Bewegungen stellten sich Grundmann nicht als Folgeerscheinungen
sozialer Strukturveränderungen dar; er beharrte auf der geschichtsbildenden Kraft religiöser
Entscheidungen, die sich seiner Ansicht nach nicht aus wirtschaftlich-sozialen Gegebenheiten und
deren Veränderungen ableiten lassen. (Mit Polemik gegen sozialgeschichtliche Interpretationsversuche
religiöser Erscheinungen hat Grundmann nicht gespart, mitunter des guten auch zuviel getan.
Der späte Grundmann sprach selbst vom Ineinandergreifen geistig-religiöser und sozialer Wandlungen
, um - unbeschadet der Eigengesetzlichkeit geistig-religiöser und wirtschaftlich-sozialer Sachverhalte
- auf Austauschprozesse zwischen Religion und sozialer Umwelt aufmerksam zu machen).

Teil 3 vereinigt Aufsätze zum Thema Bildung und Sprache. Verfasser untersucht u.a. den
Sprachgebrauch und Bedeutungswandel von litteratus und illiteratus, um im Spiegel von Wortgeschichten
den Wandel einer Bildungsnorm kenntlich zu machen. Er befaßt sich mit der Bedeutung
der Frau für die Schriftwerdung des Wortes in Dichtung und religiöser Lehre, um deutlich zu
machen, daß sich durch die lesenden Frauen nicht nur die Formen der Vermittlung, sondern auch
Geist und Gehalt der Dichtung wie der Frömmigkeit verändert haben (3, S. 94). Er erläutert die
Verwendung der deutschen Sprache in Bibel und Lehrgedicht, in Kanzlei und Schriftverkehr des
Deutschen Ordens, deutet und rekonstruiert das Schrifttum des Alexander von Roes, beschreibt die
Wertung der Wissenschaft im 13. Jahrhundert, führt den Ursprung der mittelalterlichen Universität
auf ein spontanes Wissen- und Erkennenwollen zurück, macht kenntlich, welchen Platz Naturwissenschaft
und Medizin in Schulen und Universitäten des Mittelalters eingenommen haben.

Die Aufsatzsammlung lebt aus der Spannung zwischen Gegenwart und Geschichte. Was sie zu
einer faszinierenden Lektüre macht, ist die Verbindung von geistiger Spontaneität, sprachlicher
Ausdruckskraft und profunder Gelehrsamkeit. Die in den drei Bänden versammelten Arbeiten
geben einen Begriff von unbestechlicher, disziplinierter und präziser Wissenschaft. Sie haben der
Mediävistik Maßstäbe gesetzt, die verpflichten. Wer - wenn auch nur in lokalem Rahmen -
Geschichte und Spiritualität religiöser Gemeinschaften aufzuhellen sucht, wer sich mit Ketzern,
Mönchen und Eremiten beschäftigt, wer an Fragen mittelalterlicher Bildungs- und Wissenschaftspflege
interessiert ist, findet in der Aufsatzsammlung eine kaum ausschöpfbare Quelle an Anregung
und Belehrung. Möglicherweise wird er dabei auch erfahren, was den Gewinn geschichtlicher
Anstrengung ausmacht. Grundmann hat diesen einmal so beschrieben: Geschichte als Wissenschaft
erzieht dazu, gelten zu lassen, was als wirklich bezeugt ist, auch wenn man es anders wünscht und
nicht gern wahrhaben möchte, sie erzieht dazu, abzuwägen, was einander widerspricht, und auch
dem Widerpart gerecht zu werden; den Gewißheitsgrad zu ermessen, der unserer Einsicht jeweils
erreichbar ist; nichts zu behaupten, was nicht zu begründen ist; die Wandelbarkeit und Vielfältigkeit
menschlichen Wollens in seiner Bedingtheit zu durchschauen; die Notwendigkeit und zugleich das
Risiko der Entscheidung in jeder Situation zu begreifen und so nicht blindlings sondern sehend in der
Geschichte zu leben.

Bielefeld Klaus Schreiner

Wilfried Setzier: Kloster Zwiefalten. Eine schwäbische Benediktinerabtei zwischen Reichsfreiheit
und Landsässigkeit. Studien zu ihrer Rechts- und Verfassungsgeschichte. Sigmaringen: Jan
Thorbecke 1978. 194 S., 2 Abb.

Die anschaulichen Schilderungen Ortliebs und Bertholds haben dafür gesorgt, daß die Frühgeschichte
des 1089 gegründeten Klosters an der Ache immer gebührende Beachtung gefunden hat,
während man für die spätere Geschichte Zwiefaltens immer noch auf den Überblick Josef Zellers in

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