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Herrschaft Hertingen
Die Ritter hatten daher auf dem Weg zu ihrer Dienststelle zuerst ihre eigenen
schlechten Straßen zu ertragen, denn die Mehrzahl von ihnen befand sich in landesfürstlichen
Diensten. »Nur verhältnismäßig geringe Teile der Reichsritterschaft konnten sich
dem Prozeß der Hineinziehung in landesherrlichen Dienst widersetzen«41. Für die vielen
Söhne und Töchter waren Stifte und geistliche Pfründen eine große Stütze, dort konnten
sie standesgemäß unterkommen. Verhältnismäßig viele gelangten sogar zu bischöflichen
Würden. Doch auch diese Hilfen für die gesamte Familie konnten die schlechte
wirtschaftliche Lage des niederen Adels am Ausgang des alten Reiches nicht abwenden.
Obwohl diese sich seit 1629, bis auf ganz wenige Ausnahmen, an den Charitativsubsidien
nicht beteiligen mußten. Denn sie durften auf die Untertanen umgelegt werden. Deren
Güter und Einkünfte wurden zu diesem Zweck besteuert. An der Steuer hatten auch
ehemalige ritterschaftliche Besitzungen zu zahlen, denn das oben genannte Retraktprivi-
leg verpflichtete sie dazu, so daß auch Bayern, Württemberg u. a. an der Aufbringung der
ritterschaftlichen Steuer beteiligt waren.
Die reichsritterschaftlichen Untertanen waren im ganzen nicht zu beneiden, denn sie
unterstanden hautnah ihrem ritterlichen Herrn, der wie zum Beispiel in der Herrschaft
Hettingen Gerichtsherr mit hoher und niederer Gerichtsbarkeit und zugleich grundherrschaftlicher
Herr und Leibherr in Personalunion war.
5.4 Stellung der Reichsritterschaft im Reichsverband
Die besondere Stellung der ca. 350 Familien im Reich ist charakterisiert durch »die
unmittelbare Unterwerfung der Reichsritterschaft unter den Kaiser, sie sicherte ihre
politische Existenz und ermöglichte es ihr, sich ohne größeren Schaden und Nachteil
jeder Bindung an das Reich und der Beteiligung an den Reichslasten zu entziehen« 42. Die
Reichsritter waren also keiner Landeshoheit unterworfen, nur das Reich und der Kaiser
standen über ihnen.
Diese Unterwerfung unter den Kaiser schloß aber nicht die Landeshoheit mit ein,
sondern nur die Jurisdiktion. Das Kontrollinstrument des Kaisers waren die Korporationen
. Ein gemeinsames Interesse festigte die Bande zwischen Kaiser und Reichsritterschaft
: die Macht der Landesfürsten nicht zu groß werden zu lassen. Diese Gemeinsamkeit
garantierte die Existenz der Reichsritterschaft. Selbst Reichsrittern, die gewillt
waren, ihre Rechte und Besitzungen zu veräußern, durften dies nicht, wie schon gezeigt
wurde. Als Gegenleistung erhielt die Reichsritterschaft vom Kaiser eine Menge Privilegien
, einige seien hier genannt: Zollrechte, Blutbann, Wildfuhren, Vormundschaften
u.a. Die Durchsetzung dieser Privilegien konnte an den höchsten Reichsgerichten
eingeklagt werden.
Wie erwähnt, bestand die Leistung der Reichsritterschaft in einer unregelmäßigen
Steuer an den Kaiser, den Charitativsubsidien, die von Fall zu Fall direkt an den Kaiser
bezahlt wurden. Zuvor mußte deren Höhe zwischen ihm oder einem seiner Bevollmächtigten
und den Ritterkreisen oder -kantonen ausgehandelt werden. Am Ende des alten
Reiches zahlten die Reichsritter keine Charitativsubsidien mehr43. Nach 1560 waren sie
von allen anderen Reichs- und Kreissteuern befreit. Die zweite Leistung für den Kaiser
41 Karl Siegfried Bader, Zur Lage und Haltung des schwäbischen Adels am Ende des alten
Reichs, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 5 (1941), S. 336.
42 Hellstern (wie Anm. 29), S. 50.
43 H. Müller (wie Anm. 26), S. 22.
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