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Agathe Kempf
Staat durch alle weiter demselben zu Gebote stehenden Mitteln den Handwerkerstand schützen
und heben möge147.
Der Weg, den die Handwerker damit beschritten, ging in eine konservative Richtung bzw.
hielt an dem bisherigen staatsdirigistischen Kurs fest. Vom Wirtschaftsliberalismus waren die
Haigerlocher Handwerker in ihrer Denkweise weit entfernt.
Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts traten Beschwerden der Haigerlocher Gewerbetreibenden
auf: Im Dezember 1903 klagten die ansässigen Geschäftsleute und Handwerker der
Stadt Haigerloch über die zuweilen unfaire Konkurrenz von Hausierern und Besitzern von
Jahrmarktbuden. Besonders benachteiligt fühlten sich die Haigerlocher Bürger gegenüber
nichtpreußischen Hausierern, weil jene keine Gewerbesteuer zu entrichten hatten148.
Die wirtschaftliche Existenz der Haigerlocher Handwerker und Kleingewerbetreibenden
war - soweit es sich aktenmäßig nachvollziehen läßt - während des gesamten Betrachtungszeitraums
nicht besonders vorteilhaft und abgesichert. In Hohenzollern verdrängte die Industrie
das Handwerk jedoch nicht vollständig, obwohl letzteres schwere Krisenzeiten durchstehen
mußte. Ein wichtiger Prozeß für das Handwerk war die Anpassung an die neuen Zeitverhältnisse
. Eine einheitliche Entwicklungslinie für einzelne Berufsgruppen darzulegen, ist dabei
schwierig. Es gab große Gefälle zwischen Handwerksmeistern der gleichen Berufe: Während
der eine sein gutes Fortkommen hatte, stand der andere vor seinem Ruin149. Von einem
Problem, das indirekt auf die Industrialisierung zurückzuführen ist, blieb das Handwerk nicht
verschont: der Auflösung und dem Zerfall der Handwerksorganisation. Bumiller beklagte in
seinem Aufsatz in den Hohenzollerischen Jahresheften, daß »mit den wirklich veralteten
Einrichtungen auch die guten und brauchbaren« beseitigt wurden150.
Für eine genaue ortsspezifische Darstellung der Haigerlocher Verhältnisse konnten keine
ausreichenden Angaben ermittelt werden, die gesicherte Ergebnisse über die Entwicklung des
dortigen Handwerks zugelassen hätten. Die dargestellte wirtschaftliche Lage der Haigerlocher
Handwerker konnte nur ein allgemeines Bild bieten, ohne genaue Zahlen zu nennen.
Bumiller, der speziell die Entwicklung des Sigmaringer Handwerks beschrieb, verweist auf
die einheitliche Regelung der handwerklichen Verhältnisse in Hohenzollern seit 1850 und setzt
seine Darstellung unter der Einbeziehung der allgemeinen hohenzollerischen Handwerksgeschichte
fortlM. Man darf also wohl davon ausgehen, daß sich auch das Haigerlocher Handwerk
in den hohenzollerischen Rahmen einfügt. Es ist m. E. jedoch wahrscheinlich, daß die
Haigerlocher Handwerker unter der Konkurrenz von Fabriken weniger litten als die Handwerker
manch anderer Bezirke:
Für das Jahr 1871 bzw. 1879152 berichtete der Oberamtmann, daß nur zwei größere
fabrikmäßig betriebene Betriebe im Oberamt Haigerloch bestünden, die Saline Stetten und die
Fabrik Karlstal. Alle weiteren Betriebe153 seien ganz unbedeutend und würden nur von den
Eigenthümern und ihren Angehörigen, ausnahmsweise auch von einigen zeitweise angenommenen
älteren Arbeitern über 16 Jahren betrieben154.
In seinem dritten Quartalsbericht des Jahres 1898 an den Regierungspräsidenten von
Sigmaringen konnte der Haigerlocher Oberamtmann immer noch schreiben: Der Gewerbebe-
147 Ebd. 433/4002.
148 Ebd. 432/4001.
149 Golf (wie Anm. 24) S. 371.
150 A. Bumiller, Zur Geschichte des Handwerks in Stadt und Grafschaft Sigmaringen. In: Hohenzolle-
rische Jahreshefte 14. 1954, S. 3-78, hier S. 73.
151 Ebd. S. 73 ff. Vgl. Golf (wie Anm. 24). S. 374.
152 SAS, Ho 235, Pr. Reg., I, VI, 921 vol. I.
153 Gemeint sind eine Talgschmelzerei und eine Ziegelei in Haigerloch sowie Ziegeleien in Gruol und
Betra.
154 SAS, Ho 235, Pr. Reg., I, VI, 921 vol. I.
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