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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1982/0069
Die gewerbliche und industrielle Entwicklung im Haigerlocher Raum

geforderten Verhaltensweisen genauestens informiert. Die in der Fabrikordnung als Obliegenheiten
bezeichneten Pflichten der Arbeiter sowie die Allgemeinen Bestimmungen enthalten
ihrem Inhalt und Charakter nach sehr oft Verbote. Für unsere Verhältnisse und unser
Verständnis des Wirtschaftswesens muß die Karlstaler Fabrikordnung sicherlich als drastisches
und ungerechtes Dokument erscheinen. Um die Fabrikordnung aus ihrer Zeit heraus zu
verstehen, sollen verschiedene Punkte im folgenden näher erörtert werden.

Die Arbeitszeit betrug täglich 13 Stunden, was sich damals durchaus im üblichen Rahmen
bewegte (§ 2). Die Lohnauszahlung erfolgte 14tägig und zwar rückwirkend, so daß der
Arbeitnehmer stets für 14 Tage ein Lohnguthaben besaß (§ 3). Die Fabrikverwaltung sicherte
sich somit ab, falls die Arbeiter ihrer Pflicht zur Arbeit nicht oder nur ungenügend nachkommen
sollten. Gleichzeitig war die Regelung ein Schutz gegen eventuelle absichtliche Sachbeschädigungen
. Die kurzfristigen Lohnauszahlungen waren wohl auch deshalb sinnvoll, weil die
Arbeiter noch kein richtiges Verhältnis zum Geld hatten, den Lohn innerhalb kurzer Zeit
ausgegeben hätten, und ihre sozial und wirtschaftlich schlechte Lage nicht gehoben worden
wäre. Aus demselben Grunde wurden keine Vorschüsse und Abschlagszahlungen eingeräumt
(§ 3).

Die Kündigungsfrist betrug vier Wochen von einem Zahltag an. Es wurden nur drei
Kündigungen pro Termin angenommen (§ 5). Dies war insofern gerechtfertigt, als damit
verhindert werden sollte, daß ein Großteil der Arbeiter - aus welchen Gründen auch immer-
die Spinnerei verließ. Diese Bestimmung ist also im Sinne einer Arbeiterstammpolitik zu sehen.
Die gleichzeitige Anlernung zahlreicher Arbeiter hätte die Produktion behindert und die
Existenz der Spinnerei als solche und somit die Arbeitsplätze aller Beschäftigten gefährdet.
Arbeitern, die ohne Kündigung die Fabrik verließen bzw. teilweise ihre Arbeitszeit ohne
Erlaubnis versäumten, wurde der Lohn gekürzt (§ 13, Absatz 3 und 4). Bei der Arbeit hatte
absolute Ruhe zu herrschen (§ 13, Absatz 6). Das Betreten fremder Arbeitsräume während der
Arbeitszeit war untersagt (§ 13 Absatz 7).

Auch diese Maßnahmen sind im Sinne der Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Spinnerei zu
verstehen. Aus den damaligen Zeitverhältnissen heraus scheinen sie wohl überlegt zu sein. Den
Fabrikarbeitern in der ersten Generation war die Arbeitssituation in einem Betrieb fremd. Die
Heimarbeiter, Handwerker und Bauern mußten sich erst in die ungewohnte Regelmäßigkeit,
Ordnung, Organisation und Arbeitsteilung in einer Fabrik hineinfinden. Bisher konnten sie
den Arbeitszyklus, das Tempo und die einzelnen Arbeitsstufen je nach Lust und Laune selbst
festlegen. Es folgten Perioden höchster Arbeitsamkeit auf Perioden völligen Arbeitsstillstandes.
Der sogenannte »blaue Montag« ist keine Erfindung des industriellen Zeitalters. Für die ersten
Fabrikarbeiter war die Anpassung an die total veränderten Arbeitsbedingungen, die Trennung
von Wohn- und Arbeitsort, der Verzicht auf viele Gewohnheiten und die nicht zu unterbrechenden
langweiligen, monotonen Tätigkeiten in der Fabrik, die über einen langen Zeitraum
hinweg die gleichen waren und deren Tempo zum Teil von den Maschinen bestimmt wurde,
eine große Umstellung ihres Alltags.

Die Fabrikherren andererseits sahen sich infolge des harten Konkurrenzkampfes gezwungen
, rigoros einzugreifen und auch gegen kleinere Mißstände und Unzulänglichkeiten streng
vorzugehen. Dabei wurde am häufigsten zu empfindlichen erzieherischen Disziplinierungsmit-
teln gegriffen295. Die in der Praxis des öfteren vorgekommenen schikanösen Maßnahmen
mancher Fabrikbesitzer sollen nicht entschuldigt werden, sondern es soll nur die theoretische
Notwendigkeit der oben genannten Maßnahmen gegenüber den Arbeitern dargestellt werden.

295 Vgl. Borscheid (wie Anm. 26) S. 362 ff. Riede (wie Anm. 8) S. 108. P. Mathias, Die Unternehmer.
In: Industrielle Revolution. Wirtschaftliche Aspekte. Köln/Berlin 1972, S. 83-93, hier S. 84 f. Funkkolleg
Geschichte (wie Anm. 294) S. 132 und 144 ff.

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