http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1982/0074
Agathe Kempf
Aufgabe stellen wollen odernichtm. Die Haigerlocher Zünfte hatten vor 1856 keine Unterstützungskasse
eingeführt306.
Vorbildlich in Hinsicht auf eine Unterstützungskasse war die Spinnerei Karlstal307. Es war
schon bei ihrer Gründung eine Hilfs-Casse der Fabrik-Arbeiter gebildet worden308. Am
14. November 1857 wurde ein Statut für die Stadt Haigerloch die dortigen Fabrikarbeiter-
Unterstützungskassen betr. erlassen. Es enthielt im wesentlichen folgende Bestimmungen, die
hier in gekürzter Form wiedergegeben werden309:
§ 1: Die Pflicht zum Beitritt in die Unterstützungskasse besteht bei Beginn der Betriebszugehörigkeit
für alle männlichen und weiblichen Arbeitskräfte310.
§ 2: Der Austritt aus der Kasse ist nur bei Kündigung der Fabrikarbeit möglich.
§ 3: Jeder Arbeiter ist verpflichtet, die Geldbeiträge pünktlich zu zahlen.
§ 4: Von jedem Gulden des Fabrikverdienstes muß ein Kreuzer, unter 30 xr Verdienst
nichts, ab 30 xr wie für 1 fl an die Kasse abgeführt werden.
Der Fabrikbesitzer bzw. die Fabrikkasse zahlt die Hälfte der Beiträge aller Vereinsmitglieder311
.
Ferner fließen in die Kasse alle Ordnungsstrafen, die gegen Arbeiter verhängt werden,
wenn die Fabrikkasse keine Rechte auf dieses Geld wegen Schadensersatz erhebt312.
§ 5: Unterstützt werden nur Fabrikangehörige und zwar v. a. jene, welche in der Fabrik
verunglücken, aber auch diejenigen, die ärztliche Hilfe wegen anderer Erkrankungen
brauchen. Die Höhe der Beiträge richtet sich bei Unfällen nach der Dauer der
Fabrikzugehörigkeit, bei Krankheit besteht ein Anspruch erst drei Monate nach dem
Eintritt in die Fabrik. Ausnahmen sind möglich.
Die Unterstützung wird denjenigen verweigert, die mit der Kräze behaftet eingetreten
sind u. dieselbe verheimlicht haben, sodann auch solchen, welche bei Raufereien
verunglücken oder einen notorisch schlechten Lebenswandel führen, aus welchem die
Krankheit zweifellos hervorgegangen ist. (Die Stadt Haigerloch bzw. die Fabrikverwaltung
erhob sich hier zum Richter über Moral und Sitten)313.
§ 6: Die Kasse stellt einen Arzt ein. Wer einen anderen Arzt besucht oder die Medikamente
in einer anderen Apotheke als der Haigerlocher holt, hat keinen Anspruch auf Beihilfe. -
(Der Grund für diese Bestimmung war wohl der Wille, die örtlichen Berufe zu fördern.)
Die Arbeitsunfähigkeit muß vor dem Arztbesuch der Fabrikverwaltung gemeldet
werden. Wer trotz gegenteiliger Anweisung des Arztes einer Arbeit nachgeht oder das
Haus verläßt, geht seines Anspruches auf Unterstützung verlustig.
§ 7: Die Höhe der Unterstützung bestimmt der Ausschuß des Kassenvereins je nach
Dringlichkeit, Vermögensverhältnissen des Unterstützungsberechtigten, nach der Höhe
der Arztrechnung und nach dem Vereinsvermögen. - (Neben sozialen Motiven
treten hier auch materiell-rechnerische Überlegungen auf.)
305 Ebd. E, 232 vol. I.
306 Ebd.
307 Siehe auch Anhang: Betriebsunfälle der Spinnerei Karlstal. Rechnungslegung der Arbeiterunterstützungskasse
Karlstal (verschiedene Jahre).
308 SAS, Ho 202, POAH 1544. Vgl. FAS, NVA 14395.
309 StAH, 517/4795.
310 Vgl. Fabrikordnung von 1839.
311 SAS, HO 202, POAH 1544: In den Statuten der Karlstaler Hilfskasse vom 21. 6. 1841 werden anstelle
der Beiträge des Fabrikbesitzers die freiwilligen Beiträge gnädigster Herrschaft genannt.
312 Vgl. Fabrikordnung von 1839.
313 Anmerkungen in Klammern sind Kommentare der Verfasserin.
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