http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1982/0092
Agathe Kempf
1. Meyer hatte die nach § 138 der Gewerbeordnung vorgeschriebene Anzeige des Arbeitgebers
über die Aufnahme jugendlicher Arbeiter in seine Fabrik an die Ortspolizeibehörde nicht
gemacht.
2. Die gemäß Gewerbeordnung vom 16. 11. 1878 über Arbeitsbücher und Beschäftigung
jugendlicher Arbeiter in Fabriken zu führenden Verzeichnisse für alle im Verwaltungsbezirk
gelegenen Fabriken wurden von der Ortspolizeibehörde nicht geführt. Statt dessen wurde
ein sogenanntes Personenbuch vom Fabrikherrn ausgefüllt, in das alle Arbeiter eingetragen
wurden. Dieses Buch wurde bei der halbjährlichen Revision dem Gewerbeaufsichtsrat
vorgelegt.
3. In Karlstal wurde die in §136 der Gewerbeordnung vorgeschriebene Mittagspause für
jugendliche Arbeiter von 14 bis 16 Jahren auf eine halbe Stunde gekürzt, dafür wurden die
Arbeiter abends eine halbe Stunde früher entlassen. Auch die Pausen für die Jugendlichen
vormittags und nachmittags waren nicht festgelegt, was nach §139 Absatz 2 der Gewerbeordnung
ohne höhere Genehmigung verboten war. Die Pausen richteten sich in Karlstal nach
dem Arbeitsrhythmus der erwachsenen Arbeiter an den Spinnmaschinen.
4. In Karlstal wurden jugendliche Arbeiter ohne ein ärztliches Zeugnis eingestellt, was in der
Bestimmung des Reichskanzlers vom 20. Mai 1879 untersagt worden war.
Der Staatsanwalt gab das Verschulden dafür nicht nur dem Fabrikanten Meyer, sondern er
tadelte auch den Gewerberat, der diese Verstöße gegen die gesetzlichen Regelungen stillschweigend
geduldet hatte, und die Nachlässigkeit der Ortspolizeibehörde von Haigerloch (Punkt 2).
Der kommissarische Gewerberat verteidigte sich in seinem Schreiben vom 26. Juli 1886,
nicht er sei zuständig für die Kontrolle der Polizeibehörde, sondern das Oberamt; über die
Punkte 1 und 3 sei er nicht informiert gewesen.
In Bezug auf Punkt 4 rechtfertigte er Meyer mit Unwissenheit bzw. unwissentlich
unrichtiger Auslegung der gesetzlichen Vorschriften sowie mit der Haltung der Arbeiter, die
diese Handhabung wegen der ansonsten anfallenden Kosten wohl so gewollt hätten. Auch
hätten die Arbeiter keinen geistigen oder körperlichen Schaden aus den Arbeitsbedingungen in
Karlstal davongetragen. Abschließend bat der Gewerberat deshalb um ein mildes Urteil für
Meyer in dieser Angelegenheit.
Daraufhin beauftragte der Regierungspräsident das Oberamt in einem Schreiben, es solle die
Ortspolizeibehörde von Haigerloch veranlassen, die oben erwähnten Mißstände in Karlstal
abzustellen und in Zukunft streng auf die Einhaltung der Vorschriften bezüglich der Beschäftigung
jugendlicher Arbeitnehmer in der Baumwollspinnerei Karlstal zu achten. Von einer
Bestrafung des Fabrikbesitzers wurde abgesehen.
Meyer erklärte sich allerdings mit der Festlegung der Pausen für jugendliche Arbeiter und
der Einführung der einstündigen Mittagspause für diese Altersgruppe nicht einverstanden. In
seinem Gesuch vom 2. Oktober 1886 legte er dar, daß eine zeitliche Fixierung der Pausen für die
Jugendlichen in Karlstal die totale Änderung des Arbeitsverlaufs der Spinnerei erfordern
würde. Denn während dieser Pausen müßten alle Maschinen stillstehen, da die erwachsenen
Arbeiter die Maschinen nicht allein ohne die Hilfsdienste der Jugendlichen bedienen könnten.
Man könnte dann insgesamt nur elf Stunden in Karlstal arbeiten, was - nach Meyers
Ausführungen - im ganzen Deutschen Reich in keiner Spinnerei geschähe. Meyer trug deshalb
die Bitte vor, die halbstündigen Vor- und Nachmittagspausen der Jugendlichen, die in Karlstal
nach Zeugenaussagen und Revisionen stets streng eingehalten wurden, auch weiterhin vormittags
zwischen 8 und 11 Uhr und nachmittags zwischen 2 und 5 Uhr ohne genauere zeitliche
Fixierung abhalten zu dürfen, da eine rollierende Einteilung durch die Natur des Betriebes
bedingt sei. Auch die Mittagspause wünschte Meyer wie bisher beibehalten zu dürfen, da dies
dem Wunsche der Arbeiter entspreche. Sie wollten abends noch in der Landwirtschaft arbeiten.
Einen Beleg für die Richtigkeit von Meyers Argumentation liefert ein Gesuch des Trillfinger
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