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Gerd Friedrich Nüske
kerei. Gerade im Bereich von Wirtschaft und Finanzen zeigte sich also, welch ein umfangreicher
Apparat noch 1949 einem - daneben vergleichsweise bescheidenen - deutschen Ministerium
gegenüberstand.
Urteile von Deutschen über die französische Armee und Militärregierung
Auch in Südwürttemberg und Hohenzollem war das Verhältnis der Bevölkerung zur
französischen Besatzungsmacht bei weitem nicht so, wie es manch spätere Festrede glauben
lassen könnte. Abgesehen von spektakulären Einzelfällen der Besatzungszeit und natürlich
abgesehen von den gleichsam amtlichen Protesten gegen die französischen Demontagen, gab es
ansonsten aber keinen organisierten Widerstand, der auch noch einen besonderen theoretischen
Unterbau gehabt hätte. Nur ganz selten tauchten einmal Anzeichen einer solchen Resistance
auf. So ein anonymes, nur mit »Die junge Generation« gezeichnetes Flugschreiben - offenbar
aus dem Jahr 1948 - mit dem Titel »Rückblick auf drei Jahre französische Besatzung-Wahrheit
und Klarheit«, von dem sich ein Exemplar in den Akten der Tübinger Staatskanzlei erhalten
hat524. Besonders richtete sich die Kritik gegen das Besatzungsheer und vor allem gegen dessen
Stärke. Die in Deutschland anwesenden französischen Truppen überträfen die der anderen drei
Besatzungsmächte bei weitem. Dieses Heer werde restlos aus dem Lande verpflegt. Dazu
kämen zahlreiche Zivilfranzosen sowie sich illegal in Deutschland aufhaltende Franzosen: Und
alle ernähren sich sehr gut aus dem Lande. Allenthalben kann man die Figuren sehen mit den
feisten Nacken, dicken Bäuchen und den fast den Hosenboden sprengenden Hintern. Schlecht
kamen auch die Regierungen der neuen deutschen Länder der französischen Zone weg: Unter
dem jeweiligen Protektorat der Franzosen werden Länderregierungen gebildet, besser gesagt
Operettenregierungen! Die darin vertretenen deutschen Politiker sind der dritten Garnitur
entnommen... Diese Regierungen, die rein nichts zu melden haben, kosten uns Bürger
zusätzlich zu den unsinnigen Besatzungskosten auch eine Unmenge Geld und sind ungeheuer
aufgeblähte Superbürokratien, deren untergeordnete Dienststellen sich vermehren wie die
Meerschweinchen. Und auf diesem bürokratischen Komposthaufen gedeiht wie eine Kürbispflanze
prächtig die Korruption.
Natürlich waren auch die französische Deutschlandpolitik im allgemeinen und die gaullistische
Konzeption im besonderen naheliegende Objekte der anonymen Kritik. Ziel der
französischen Politik ein Deutschland der Schlagbäume der Fürsten, der sich befehdenden
Länder, dessen Einheit nur auf der Landkarte besteht und von dem große Gebiete längs des
Rheins von Frankreich annektiert wurden. Und: Nun fehlt ja nur noch der Schlagbaum alle fünf
Kilometer und die Fürsten. Fünferlei Briefmarken von Frankreichs Gnaden haben wir ja schon.
So läßt man den für uns Deutsche unseligen Herzog von Richelieu wieder Auferstehung feiern
und am Ende dieser Entwicklung sogar eine >kalte< Annexion der besetzen Gebiete winken,
zuerst ä la wirtschaftlicher Anschluß Saargebiet. Herr General de Gaulle hat ja bereits einen
soeben >Anschluß< anläßlich einer Rede empfohlen. Leider wird nicht erwähnt, auf welche Rede
de Gaulies Bezug genommen wurde, ob auf die vom 4. Oktober 1945 oder jene vom
18. November 1948. Beide hatten ja im Gebiet der Französischen Zone in Deutschland
Resonanz gefunden, die von 1948 naturgemäß mehr als die frühere. Deshalb war wohl auch
diese gemeint. Neben den Demontagen wurden vor allem die Holzeinschläge der Besatzungsmacht
angegriffen. In diesem Zusammenhang wurde auch der Landtag von Württemberg-
Hohenzollern und dessen Widerstand gegen die französische Politik erwähnt: Erhebt ausnahmsweise
mal ein Landtag gegen dieses Freiben sein Wort wie beispielsweise in Tübingen,
so werden die Herren >Minister< als dafür nicht zuständig zurechtgewiesen wie dumme
Schulbuben.
524 »Rückblick auf drei Jahre französische Besatzung - Wahrheit und Klarheit«, in: StA Sig Wü 2/4a.
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